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Die Märkische Umfahrt

10 Ruderer brachen am 26.05.2015 zu einer Wanderruderfahrt, der Märkischen Umfahrt auf. Sie führte in 6 Tagesetappen vom SCBG über die Dahme stromaufwärts, den Dahme-Umflutkanal stromaufwärts, die Spree stromabwärts und die Dahme wieder stromaufwärts. Die Gesamtstreckenlänge betrug 200 km.

Vorspiel (weitestgehend auf dem Steg)


So begab es sich also in der halbwegs lauen Maienzeit im Jahr des Herrn zweitausendundfünfzehn, dass sich zehn tapfere Ruderrecken am allseits bekannten Steg zu Grünau einfanden und in ein sechstägiges Abenteuer stürzten. Überstürzt? Nein, von langer, erfahrener, vierfacher Fahrtenleiter-Hand geplant! Kopfüber? Nein, mit reiflicher Vorbereitung und Vorausfahrten, mit langen Listen und Telefonprotokollen, mit Wartelisten und sorgender Vorsicht, ob die Erwählten denn auch an Handballen, Oberarmen und –schenkeln genug Schwiele/Masse angesetzt hätten, um dieses Abenteuer durch- und den Kampf mit den Elementen zu bestehen.

So standen sie denn also am besagten Steg und dehnten sich (stimmt gar nicht, hätten sie aber mal besser). Zwei schnittige Boote hatten sie sich erwählt, getauft auf die märkischen Namen Krampe und Krossinsee. Sie wurden einer letzten, eingehenden, listengestützten Prüfung unterzogen, ehe die Helden der kommenden sechs Tage ihre sieben wasserdichten Sachen, die oft umgekehrt proportional zum Körpergewicht ausgefallen schienen, in die beiden Boote verluden. Viel Proviant war da natürlich dabei (im Grunde und im wahrsten Sinne des Wortes natürlich - überwiegend!), denn als Losung war ausgegeben worden: Am ersten Tag versorget Euch selbst, und auch wenn's hinter Prieros noch Betten, Dächer über den Köpfen, und die eine oder andere warme Mahlzeit geben wird: Generell geht’s je tiefer ins brandenburgische Gehölz, desto bergaber (auch das stimmte zwar nicht, aber stellte sich dennoch als kluges Erwartungsmanagement heraus im Sinne: wenig versprechen, viel halten).

So standen die Zehn also noch immer am Steg, nun aber schon ruderfertig und abfahrbereit. Es folgte die erste Ruderbesetzungslotterie. In nächtlicher, geheimer Sitzung hatten es die Würfel bestimmt oder andere, im Einzelnen unbekannte Kniffe. Die „VL“ (=Fahrtenleitung) hatte jedenfalls in ihrer unnachahmlichen Zufallsweisheit gewaltet und dergestalt zwei gleichermaßen gewiefte, starke und gutgelaunte Ruderteams à fünf Personen bestimmt. Und -  konnte das noch Zufall sein? - das harmonierte wunderbar mit den zur Verfügung stehenden Plätzen der beiden Prachtboote. Mannschaften einsteigen! Und genug der Vorrede! Nun begann

Die Große Märkische Umfahrt 2015

Tag 1: Raus aus Berlin!


Im nachpfingstlichen Wasser der motorbootzerwühlten Dahme ging’s gen Prieros im lauen Sonnenschein. Vielbefahrenes Wasser und wenig Überraschungen (die Gefahren, Tücken und großen Unbekannten sollten später lauern!), sogar einem Schubverband wurde meisterlich ausgewichen. Seltene Naturschauspiele aber auch schon hier: Aus einem schräg nach oben gestämmten Güterwaggon ergoss sich in Königs Wusterhausen die Braunkohle direkt in den bereitstehenden Rostmetall-Schubverband, samt dazugehörender Braunstaubwolke und entsprechender Duftnote. Darauf musste man sich erstmal mit Selbstgemachtem (Kuchen, Sandwich) und Selbstgekauftem (Sandwich) bei unseren Ruderfreunden Königs Wusterhausen stärken! Mit den neugewonnenen Kräften ging es derart flott in die ums Eck liegende Schleuse Neue Mühle, dass darin ein Petschel den kinetischen Kräften nicht mehr gewachsen war und unter zartem Knacken zwar das Boot noch rechtzeitig bremste, dies aber mit dem Abknicken seiner Metallspitze bezahlte. Großes Oh und Ah im Schleusenschacht (und ein dreifaches Hipp Hipp Hurra auf den Schleusenwart). Bevor der Schaden eingehend beim nächsten Halt – Cosmea – begutachtet wird, lauern aber noch weitere Gefahren auf die Mannschaften. Kaum den Schleusentoren entronnen und über den Krüpelsee gezogen, kreuzt ein erstes unidentifiziertes Schwimmobjekt ihre Bahn, dass sie baff Ruder halt und die Blätter flach aufs Wasser machten: War es eine rückwärts schwimmende Krokodilsschnauze? Oder ein Otter, ein Biber, ein Bisam, ein Nutria? Oder eine neue, unentdeckte Spezies, die da zielstrebig durchs Wasser schwamm und sich dem sicheren taxonomischen Zugriff des in den Ruderbooten versammelten Sachverstands entzog (es verschwand im Schilf)? Es wird wohl ewig ein Geheimnis bleiben... Ohne des Rätsels Lösung und zudem noch einen Petschelhaken kürzer kehrten die Ruderer schließlich bei Cosmea ein, das auch am Dienstag nach Pfingsten mit offenen Türen, dem friedlichen Dackel Bruno und guten Getränken, dargeboten in exquisiter Glasbläserkunst, aufwartete. Auch eine erste Wurst mit Kartoffelsalat, eine Portion Pommes wurden für kurze Zeit gesichtet, mussten dann aber (auch dies eigentlich ungeheuerlich!) als verschollen gelten. Trotz des unglaublich hohen Testosterongehalts in den Booten, können wir nicht umhin, die völlige Abwesenheit alkoholischer Getränke an Bord mit erstaunt gehobener Augenbraue zu vermerken. Um dem Testosteron zumindest ein wenig Alkohol im Blut beizumengen, gab’s eine Runde Kümmerling, mit der unter allgemeinen Jubel- und/oder Ekelausrufen kurzer Prozess gemacht wurde. Dann widmete man sich dem lädierten Petschel, schnitzte schraubte fachsimpelte - und hatte alsbald wieder einen ganzen Petschel, der so gut wie neu, nur vielleicht ein ganz klein wenig kürzer als zuvor war.

Weiter ging's, vorbei an ungeheuerlich viel Rhododengedröhn in vollster Blüte, an dem sich manch Rudererauge schon am ersten Tag satt sah. Mit Vorsicht ging’s in die zweite und letzte Schleuse des Tages in Prieros, an romantischen Bänkchen vor Elektrozaun vorbei und hin zum Tagesziel: Des ollen Piecks schicke Hütte(n) am Streganzer See, den glorreichen Zehn und ihrem ganzen Verein natürlich bestens bekannt.

Dem Schleusenwärter von Prieros sei Dank, und nochmals be-hipphipphurra-t, denn seine Frage, ob wir bei unserer weiteren Route am Folgetag dann auch die Schleuse Hermsdorfer Mühle zu nehmen gedachten, brachte die Zehn, und hier insbesondere die VL, ins Grübeln: Bisher waren für das Programm des 2. Tages zwei Schleusen und zwei Schleppen vorgesehen. Sollte sich da plötzlich noch eine dritte hinzugesellen? Man beließ es nicht beim Nachdenken, sondern befrug – während man das erste Spargelschnitzel der glorreichen Fahrt verdrückte und ausreichend mit leichtalkoholischen Getränken umspülte - das detaillierte (und üblicherweise stets in einem der zwei Boote vorhandene) Kartenmaterial, um schließlich auch dieses Geheimnis zu lüften: In der Tat, der an Herausforderungen schon nicht arme morgige Tag würde um eine dritte zu meisternde Schleuse bereichert!

Aber nochmal zurück zum Spargelschnitzel: Welch eine Wohltat! Was für eine Wonne! Was wäre der Chronist ohne es gewesen! Sicherlich nicht mehr in der Lage, jetzt und im Folgenden über die heldenhafte Fahrt zu berichten.

Tag 2. Into the Waild


Die Bilanz: 25 km, 3 (in Worten: drei) Schleusen, 2 Schleppen im Sturm genommen (das Wetter: bedeckt, am Vormittag teilweise leichter Regen, am Nachmittag Aufheiterung), den topographischen Höhepunkt der Reise erklommen. Um diese Aneinanderreihung von Höhepunkten mit der in der Ruhe liegenden Kraft meistern zu können, hatte die VL die Abfahrtszeit auf 9 Uhr vorverlegt. Die aus ihren jeweiligen Doppelzimmern entstiegenen Ruderkumpanen fanden sich pünktlich und gut befrühstückt zu besagter Zeit am Steg ein. Und wie am Tag zuvor, und wie in den folgenden Tagen auch, wurde die Entscheidung über die Bootsteams von der unparteiischen und über jeden Zweifel erhabenen Bootsbesetzungsfee verkündet - und klag- und saglos hingenommen. Los ging’s in neue Wasser - für einige begannen die bereits mit dem Verlassen des Streganzer Sees. Die Bäume rückten schon näher an die Ruderblätter heran, was aber auch am offenkundig niedrigen Wasserstand der Dahme lag: die braunen Uferränder mit freiliegendem Erd- und Wurzelwerk sprachen von gewöhnlich höheren Pegelständen. Weite Eichen-, Erlen- und Weidenarme schatteten den Fluss und boten schon auch mal Schutz vor den niederprasselnden Fluten (siehe oben: bedeckt, am Vormittag teilweise leichter Regen). Im Schlängel des Dahmefließes wechselten Auwälder mit offenen Weiden und Wiesen. Von dort aus konnte manch unverständig glotzendes Augenpaar das seltene Schauspiel eingeübtester, elegantester, von Schönheit strotzender Ruderkunst im Moment ihres Vorüberfliegens erhaschen. Hätte brandenburgisches Vieh vorab mal einen Blick in den guten Goethe geworfen, dann hätten sie bestimmt „Verweile doch...!“ hinterhergerufen. So blieb es aber nur beim einen oder anderen leisen „Muh“.

Nach kaum 5 km konnte die Realität der Schleuse Hermsdorfer Mühle überprüft und ihre Existenz zweifelsfrei bestätigt werden. Wie von (professioneller) Menschenhand bedient, öffneten und schlossen sich die Tore, gings nochmal ein Level höher und ein letztes Stück auf der Dahme flußaufwärts. Denn schon kurz darauf (dazugehörige Landschaftsbeschreibung: siehe Absatz zuvor) näherten sich die Boote Märkisch Buchholz, verabschiedete sich die Dahme in einem steuerbord liegenden, leicht zu übersehenden kleinen Zufluss (quasi das Alt-Dähmchen). Die Ruderblätter schlugen nun das Wasser des Dahme-Umflutkanals, dessen weiterhin kaum der Wahrnehmung werte Strömung bis Leibsch bezwungen werden musste (wir erinnern uns: Der Bau des Dahme-Umflutkanals ging auf einen Beschluss des preußischen Ministeriums der öffentlichen Arbeiten aus dem Jahr 1904 zurück. Er erfolgte in den Jahren 1907 bis 1911). Und was stand den zehn Helden des getakteten Ruderschlags bis dahin nicht noch alles bevor! Damit ist nicht nur das vorbestellte Mittagessen in Kühns Gasthaus am Köthener See gemeint.

Nach dem Adieu der Ur-Dahme schlugen die Ruderer das Umflut-Wasser zunächst nur kurz: Kaum unter einer Brücke hindurch, prangte backbord Märkisch Buchholz, und sprang wie angekündigt die nächste Herausforderung ums Eck: zwei dicht hintereinander gelegene Bootsschleppen, die zunächst das imposant aufragende Kaskadenwehr (6m) und sodann einen kaum 50cm überwindenden Höhenunterschied beim zweiten umgingen.

Die ganze Wendigkeit und Geschmeidigkeit der Recken war gefragt, als sie neben der mäßig rauschenden Viererkaskade des ersten Wehrs ein Boot nach dem anderen festmachten, sich selbst am Ufer zunächst ein wenig angestauten Wassers entledigten, die Boote um ihre kostbare Beutelfracht erleichterten und dann in gemeinsamer Anstrengung eine Krampe nach der Krossinsee am Wehr vorbei transportierten. Zwar war die Lore elektrisch gepimpt, aber das Maschinchen zog dann doch so langsam, dass die an Muskeln nicht armen Ruderer sich doch lieber auf diese verließen und die Boote hauruckend nach oben bugsierten: Zunächst wurde das Boot vorsichtig mit Leine und Petschel auf die im Wasser versenkte Lore balanciert und diese dann vorsichtig samt Boot aus dem Wasser gezogen. Dann hieß es hügelan und durch Engstellen manövrieren: unter einer Brücke hindurch und um eine Kurve herum. Altbekannte Kommandos in neuem Gewand: „Ruder halt!“ erschallte alsbald ein durch Mark und Brandenburg gehender Ruf, wenn es mal langsam gehen, oder mal ganz gestoppt werden mußte. Prompt erstarrten stets Mannschaft samt Boot. Solcherart gelangten beide Boote schadlos an die obere Einsetzstelle. Rasch das nur unwesentlich um ein paar Kekse und sonstige Happen erleichterte Gepäck wieder im Boot verstaut, und weiter!

Keine 2 km auf schnurgerader Bahn, und schon wiederholte sich das Manöver auf kürzerer Schienenstrecke am zweiten Wehr (der Sprung über 50cm Höhenunterschied). Enger der Durchlass unter der Brücke, enger auch die Kurve und die Einlassstelle fürs Boot. Da war so einiges „Ruder halt!“ notwendig, um unsere schlanken Blauwale mit Kunststoffverschalung sicher hinauf-, hindurch- und wieder ins Wasser zu bugsieren. Gesagt, getan, geschoben, gezogen, Ruder halt - gehalten, Boote flach ins Wasser - gewässert, also: geschafft.

Wer jetzt meint, damit sei das Tageswerk bereits vollbracht und man könnte bereits den wild-romantischen Sonnenuntergang überm Abendlager aufschimmern sehen, der irrt. Gewaltig: Es war noch kaum Mittagszeit! Wiedermal hatte sich die umsichtige Planung der VL bewährt - denn die nächste Station, der Tisch in Kühns Restaurant am Köthener See, war genau für diese Zeit reserviert, und so mancher Ruderermagen knurrte bereits nach frischem Spargelschnitzel! Also rasch weiter ge-dahme-umflutkanalt, bis sich die Baumkronen lichten, bis hohes Schilf zurücktritt und sich die freie Wasserfläche des Köthener Sees öffnet. Wind bläst übers graue Nass und raut die Wasserfläche auf. Zwei Haubentauchermännchen kämpfen tänzelnd noch kurz auf dem Wasser, ehe sie darin verschwinden, kaum werden sie der Boote und der darin gegen Wind und Wellen kämpfenden Menschenmännchen gewahr. Und direkt hinter dem Schauplatz dieses wohl nur vom Chronisten bezeugten Revierkampfes der zwei Vögel liegt Köthen, ein Anlegesteg mit Jugendherberge, und dahinter irgendwo Kühns warme Stube. Die Boote vertäut, vorbei an Jugendlichen mit ihren Pflegern, die gruppendynamische und energiezehrende Spiele am Strand veranstalten, dem tänzelnden Petschel zu Kühn gefolgt.

Dort machten es sich die Zehn unter Geweihlüster und Wildschweinfell bequem. Überm Gasttisch hingen auch einige historische Fotos jener ostpreußischen Auswanderer, die nach Brasilien wollten, aber dann doch in Köthen hängen blieben, ein Gasthaus aufmachten („frisches Blut nach Köthen brachten“, so sagts die Speisekarten-Chronik, und seit der Kühn Erich die Tochter des Hauses Hedwig ehelichte, seit 1928 also, in Kühn’scher Familienhand und -tradition). Einige der Ruderer betteten sich weich auf breiter Couch. Manche verdrückten bereits  das zweite Spargelschnitzel der Wandertour. Andere aßen Dinge, die wie schonmal gegessen aussahen, und dritte konzentrierten sich auf den Bierdeckelhausbau. Es war so gemütlich und geruhsam, die Sofapolster so bequem wie das Zeitpolster, die Augendeckel wurden schwer. Da half nur Kirschstreusel mit Sahne, Kaffee – und letztlich eine entschiedene VL!

Die Jugendlichen turnten immer noch am Strand, als die Mannschaften verdauungsschwer ihre Boote bemannten, Köthen zwar das Gesicht aber im übertragenen Sinne den Rücken zukehrten, über’n See schipperten und den zweiten Teil des Dahme-Umflutkanals bis zur Schleuse Leibsch unterm Kiel hindurchgleiten ließen. Ach was schreib ich Schleuse: Die Doppelschleuse Leibsch - von Umflut rauf auf die Spree, und kaum oben angekommen, gleich wieder ein Stück runter die Spree. Höher also – aber das war vielleicht nicht allen Ruderern zu diesem Zeitpunkt in der ganzen Bedeutung bewusst – höher würden sie auf dieser Fahrt nicht mehr hinaus kommen. Ab Leibsch gings nur noch bergab, und zwar auf der Spree!

Doppelschleuse mit doppelter Herausforderung: Hier galt’s, im Handbetrieb die Boote zu heben und zu senken. So legte zuerst die eine Mannschaft an, vertäute ihre Schaluppe, und setzte alsdann alle Tore und Hebel der Doppelflügel-Schleuse in Bewegung, um das andre Gefährt sicher auf Spreeniveau zu heben, und – nach einem kurzen Wendemanöver – auch gleich wieder ein Stück in der zweiten Schleuse im Spreeniveau zu senken. So kamen die Ruderer auch in die genußvolle Lage, sich wechselseitig als Schleusenmeister an zu hipp-hipp-en und zu hurra-en. Und weil’s so schön war, und die Ruderer so freundlich von Natur, schleusten sie auch gleich noch einen einsamen Kanuten hinterher. Der dankte freundlich, aber ohne Hipp und Hurra. Er war – so munkelt man – ein Brandenburger.

Ein paar Spree-Ecken weiter (die zackige Wendemanöver erforderten, denn auch hier lag der Wasserstand niedrig, und plötzlich auch mal ein Baumstamm im Wasser) winkte der Neuendorfer „Spreekahn“ – die Unterkunft zur Nacht.

Die Aufregungen waren aber damit noch nicht beendet! Denn als das erste Boot anlegte, versetzte es eine Ente in höchste Aufruhr. Aufgeregt und besorgt quakend umpaddelte sie das Boot, sprang auf den Steg und watschelte wild besorgt um das Boot herum - als wolle sie es gleich entern. Elendiglich quakte sie – bis plötzlich unter der kaum 3cm hohen Kante zwischen Wasser und Steg und knapp neben dem Bug ein flauschiges Knäuel von Entenküken hervorquoll und aufs Wasser hinausschoss. Die noch von Panik geschüttelte alleinerziehende Entenmutter sprang hinterher und an die Spitze der Brut - und führte sie ins rettende Schilf auf der anderen Uferseite. Minidrama mit Happy Ent!

Happy im übrigen auch die Bootsbesatzungen samit ihrer Hintern, die sich nach ausgiebigen Dehnübungen (nicht gelogen!) auf Gartenmöbeln niederließen und von Hausdame Susanne im Pelzüberwurf mit frischem Bier, bzw. Radler, bzw. alkoholfreiem Radler, bedacht wurden. Kreuzberger Schick meets Brandenburger Idylle. Nach rustikalen kalten Platten mit Käse, Wurst und Spreewaldgurken gabs beim anschließenden Abendspaziergang einen Caspar David Friedrich-Moment für alle: knallromantischer Sonnenuntergang überm Neuendorfer See. Die sofort zehnfach gezückten Smartphones, die diesen unvergesslichen Moment in Pixel gegossen haben, werden es der Nachwelt beweisen. Unterm Jubelgesang von Nachtigall und Teichrohrsänger (von ihm wird noch zu sprechen sein) ging’s zurück zum Spreekahn und alsbald zur wohlverdienten Nachtruhe.

Tag 3


Frühstücken. Die Sonne scheint. Verkündigung der Bootsfee. Boote klar, ab auf die Spree. Über’n halbversonnten Neuendorfer See. Wind kommt auf. Gut, wenn Steuermänner wissen was sie tun. Ist das nicht der Fall, kommen zwar mitunter Bonus-Meilen für die gesamte Mannschaft zusammen, und dank GPS-Aufzeichnung lassen sich auch schöne Muster auf Seen malen (Rudern nach Zahlen). Aber wenn man sowieso schon eine Tagesetappe von 37 km vor sich hat, möchte man gern auf Extrazacken, wie ihn etwa der Chronist seinem Boot bescherte, verzichten. Er sollte und ist hiermit als Ha-Ha-Haifischflosse in die Annalen der Großen Umfahrt eingegangen und hob sich markant in einer Gesamtlänge von ca. 1 km von der Ideallinie ab.

Tageslektion 1a: alle Boote mit Kartenmaterial versorgen. Tageslektion 1b: und immer schön auf Schilder im handlichen weißen Rhombenformat achten, die üblicherweise Seeausfahrten markieren. Besonderheit am Neuendorfer See: Hier war das Schild zusätzlich mit einem Kranz weißbefiederter Reusen geschmückt, die Spalier standen.

Nur ein kurzes Stück ging es weiter, dann nahm die Seeschleuse Alt-Schadow die Boote in ihr breites Becken auf. An dicke Taue, die zwischen drei Pfähle baumelten, krallten sich die Petschel (hatten die Boote erstmal diese Position erreicht), und schon senkte sich der Wasserpegel merklich – nicht zuletzt an den länger werdenden petschel-haltenden Armen. Die Tore öffneten sich, die Ruderer bedankten sich und glitten hinaus – hinein in üppige Spreemangroven-Landschaft. Der niedrige Wasserstand legte das dunkelbraune Wurzelwerk der mächtigen Uferbebaumung frei, auch Schilftrikoloren (unten erdbraun, mittig breites Frühlingsgrün, oben gelbe Pinsel des letzten Jahres) säumten das Flussband und beherbergten bereits einige kehlstarke Teichrohrsänger (von ihnen wird noch zu sprechen sein). Nach einigen Kilometern derart idyllischen Windens und Schlängelns wartete am Kossenblatter Nadelwehr die nächste Schleuse, um die Ruderer vollautomatisch abzusenken. Auf Knopfdruck – aber gemächlich – öffneten sich die Schleusentore, Boot fuhren ein, auf Knopfdruck – ganz gemächlich – schließen sich die Schleusentore. Achtung, sagt die Digitalanzeige, Schleusung läuft. Aber ohne Eile. Es zerrt an den Bauchmuskeln der Balance haltenden Rudermannschaften. Achtung, sagt die Digitalanzeige, die Schleusentore öffnen sich. Laaaangsam. Und so schallt auch ein sehr gemächliches „Wir – danken – dem – Schleusenprogrammierer – für – seine  - Software – mit – einem – dreifachen...“ (Der Rest ist bekannt.)

Danach wars aber höchste Zeit für eine kulturelle Pause und die Boote machten umgehend neben dem unteren Ausgang der Schleuse fest: Folgte Inspizierung der historischen Schleusenanlage Kossenblatt, die, nun randvoll mit Stein und Schutt gefüllt, seit 1750 die Schifffahrt auf der gezähmten Spree ermöglichte.

Kulturs genug, Blasenleerung abgeschlossen, Keksessung auch, gings weiter: munter schießt das erste Boot davon, und würd das zweite auch gern wollen. Wäre da nicht die bockige Steuerleine, die partout nicht nach Steuerbord einschlagen will, sondern das Boot strack auf Uferkollisionskurs hält. Gut, wenn Steuermänner wissen was sie tun. Ist das nicht der Fall, dass sie zumindest beherzt die richtigen Kommandos rufen (Stoppen! Gegen!), eine Mannschaft weiß was sie zu tun hat, und der Steuermann dann die richtigen Leinen greift. Merke: mit Heckleine lässt sich kein Boot steuern. Tageslektion 2: prüfe vor Abfahrt, an welcher Leine du ziehst.

Aber weiter geht’s. Auf der nicht mehr ganz so wildromantischen, aber weiterhin hoch idyllischen Spree. Vogelbezwitschert: Kuckucksrufe und sonstiges Getschilpe und Getrillere (vom Teichrohrsänger wird noch zu reden sein) untermalen den herrlich synchronen Ruderschlag der glorreichen Zehn. Altarme der Spree - verlandet, zugeastet, still vor sich hin stehend - zweigen zu beiden Seiten ab. Jäh durchschneidet dann ein dreifaches Hipp und Hurra auf MiJo die Maienluft, denn soeben hat er die Fahrtenabzeichens-Schallgrenze von 800 km durchbrochen. Dies muss mit auf dem Wasser eingenommenen – per Schwimmtüte von Boot zu Boot transferierten – Kümmerling-Kürzlingen begossen werden. Wird es, kippt es, weiter geht es. Fast noch genauso synchron, aber mindestens so guter Stimmung wie zuvor zieht man durch die beschauliche Mark. Unter einer historisch einwandfrei restaurierten Holzzugbrücke durch, unter der einwandfrei in Spritzbeton gehaltenen Autobrücke der B 87 hindurch, und schon ist Mittagszeit bei Pawlaks in Trebatsch, die man teils mit in die Sonne gestreckten, teils mit Schnitzel gefüllten Bäuchen verbringt. Auf alle scheint letztendlich bei kurzer Siesta die Sonne. An den im Gras lümmelnden Ruderern vorbei braust ein halbnackter Freizeitkapitän mit biergeschwelltem Bauch und ebenso üppiger weiblicher (aber bekleideter) Entourageim Fond: Er steuerte das letzte Motorboot, das die zehn Ruderer auf lange Zeit sichten sollten.

In die Boote, raus aus dem Fließgeschlängel der Spree und über den Glower- und Leißnitzsee, dem Slalom der Fahrtrinne nur mäßig folgend, und gerade noch rechtzeitig gestoppt, um der Handseilzugfähre am Ausgang des Leißnitzsees nicht zum Opfer zu fallen: Im Jargon der Großen Umfahrtler auch als „Köpffähre“ betitelt, die (aber hier beginnt schon das Ruderergarn zu spinnen) unvorsichtige Ruderer durch den in Genickhöhe überm Wasser gespannten Handseilzug einen Kopf kürzer machen kann. Insbesondere bei Nebel, Stromausfall oder kaputten Birnchen der matten Warnlichter, die an den Fährstationen blinken wenn Fähre fährt, Seil gespannt. Scharfen Steuermannadlerauges, generell dringenden Trinkpausenbedarfs und im Nachmittagsgleiß etwas ermatteten Ruderschlags sei dank blieben die beiden Mannschaften vor diesem Schicksal verschont und konnten, hinter ihren erhobenen Wasserflaschen hervorlugend, hautnah mitverfolgen, wie die Fähre von Ranzig nach Leißnitz übersetzte. Die Spree nahm wieder flußartigen Charakter an, die Landschaft aber weitete sich. Weite Schilfflächen, von Teichrohrsängern zersiedelt (hierzu beim folgenden Tag mehr), reich verreihert und beentet, rücken den Waldessaum nach hinten, großes Hellblau darüber, durch das auch mal ein Kormoran und Möwenähnliches flappt. Vorbei an Gründerzeitpalast neben Hobbithaus, speckig glänzenden farbenfrohen Dachziegeln. Bald auch scheinen erste Ausläufer sogenannter Zivilisation auf, die hier den Namen Beeskow tragen soll, erst ein vorgelagertes Flussfreibad, und noch einen Kilometer weiter und der Steg des Ruderclubs Beeskow 1920 winkt die Boote einladend heran. Willkommen im Kiez!

Tatsächlich liegt der Club und damit die Unterkunft der Rudertruppe auf einer Spreeinsel, die in den alten Zeiten eine slawische Siedlung war - der „Kiez“ - und bis heute einen eigenen Charakter bewahrt hat. Neben der Ruine der Beeskower Burg, und nichtmal im Abendschatten der mächtigen Beeskower Backsteinkathedrale gelegen, die sich auf der anderen Flussseite über die hübsche Bürgerstadt erhebt, schmiegen sich die kleinen Häuschen an ihre Vorgärten samt Zwergeninventar.

Das ist den soeben eingetroffenen 37-km-Ruderern in dem Moment noch kaum bewusst, aber zum Teil auch später noch herzlich egal. Jetzt geht es um Anlanden, Boote sichern, Dehnen wie wir's von Videokassetten in den 80ern gelernt – und drei Ruderer transformieren sich in Badenixen und wagen den Sprung ins quietschkalte Flusswasser für eine mehr oder weniger kurze, aber höchst männliche Abkühlung.

Da die nächsten zwei Tage wieder im Zeichen der Selbstversorgung stehen sollten – zumindest tagsüber – hieß die Losung vor dem Abendessen: Proviant fassen. Immerhin: Am Abend sollte warme Küche gewährleistet sein, niemand musste um sein täglich Schnitzel fürchten. Da aber Beeskow als Hort der Zivilisation (unklar: in der Avantgarde oder im Rückzugsgefecht befindlich?) ein diversifiziertes Angebot namhafter Einzelhandelsketten mit sortenreicher Auslage zu bieten hatte, musste zugegriffen werden.

Die Sehenswürdigkeiten der Stadt – neben der kathedralenartigen Kirche der ehemalige Feuerwehrturm (heute Kletterparadies), die weitgehend erhaltene Stadtmauer mit ihren Eulen-, Mäuse- und sonstigen Türmen, der Marktplatz mit seinen Ein-Euro-Läden, gar das älteste Gebäude von 1487 – verblassten daneben. Der Hunger war’s, der die vor Muskeln und prall gefüllten Einkaufstüten kaum mehr gehfähigen Ruderer vorzeitig an den reservierten Tisch in die „Kirchenklause“ trieb. Zwei dreisten Nachzüglern wurde aber ein ungeduldig-unwirscher Empfang bereitet, als auch sie sich endlich mit dem vorhandenen Kartenmaterial der Lokalität vertraut machten. Spargelschnitzel? Spargelschnitzel! Hier in der feinen Nuance mit einer Orangen-Hollandaise und hinterdrein womöglich ein Dialog von Vanille und Rucola an frischen Erdbeeren. So war der ärgste Hunger bald gebändigt, die Stimmung stieg, die Pegelstände im Glas fielen rapide und bald darauf die Ruderer – glücklich, gesättigt und zufrieden – ins Bett.

Tag 4: Schlängel und Länge


Früh steht die Sonne überm Kiez, noch räkeln sich manche Rudererbeine im Bett und finden erst nach und nach zum bodenständigen Frühstück im zweiten Stock des Vereinsheims, dessen kräftige Mutti den Laden nach vorne freundlich, nach hinten aber eisern im Griff hat. Allzeit bereit! Nachdem jeder sein leergegessenes Frühstückstellerchen brav in die Küche getragen hat, geht’s los: munter unter der Beeskower Brücke hindurch – und direkt in die nächste vollautomatische Schleuse. Da wartet auch schon die Geduld, bis sich die Schleusentore schliiiießen. Das Waser siiiiinkt. Die Tore sich ööööffnen. Ja, irgendwann öffnen sich auch diese Schleusentore einmal wieder! Mit dreifachem Dank an Umweltministerium und Steuerzahler entpetscheln die Ruderer dem Betonkasten, greifen in die Auslage und sehen Beeskow hinterm Horizont versinken. Der Abschiedsduft von frischem Pressspan – olfaktorisches Adieu aus dem Beeskower Industriegebiet – bleibt noch länger in der Nase hängen. Die Umgebung heute: eine liebliche Kulturlandschaft, alte Eichen und Erlen, Ahörner und Weiden strecken sich über das Wasser, Auenwald wechselt mit Schilfbesatz und Weideland, mal bekuht, mal nicht bekuht.

Bei einer Trinkpause auf dem Wasser geraten die Boote mitten in einen heftigen Sängerwettstreit. Zwei Teichrohrsänger schnattern, knistern, hupen, zetern, dommeln, tschilpen und ziepen heftig gegeneinander an und turnen immer höher und aufgeregter in ihren Schilfrohren. Dazu muss man wissen: Der Teichrohrsänger – genauer: Drosselrohrsänger (Acrocephalus arundinaceus) ist eine Singvogelart aus der Gattung der Rohrsänger (Acrocephalus) und der Familie der Rohrsängerartigen (Acrocephalidae).

Bei den ersten zarten Begegnungen von den Ruderern noch andächtig belauscht, gar als „Sumpfnachtigall“ überhöht, erinnerte sein Gesang auf Dauer doch eher an ein Modem der 56k-Generation auf der Suche nach Verbindung. Dass der Vogel im Volksmund auch Rohrspatz genannt wird, war zum Zeitpunkt der Wanderfahrt unbekannt. Dass er seine Balzzeit aber just in die Zeit der Wanderfahrt gelegt hat, war auf Dauer und praktisch bei jedem Schilfgürtel, den die Boote streiften, unüberhörbar. Dass die Ruderer nicht in den Bann jener unermüdlich werbenden Sänger gezogen wurden, mag noch nichts über ihre sexuelle Orientierung aussagen. Dass jedoch keiner der zehn Umfahrer zur Familie der Rohrsängerartigen gehörte, zumindest soviel ist seitdem gewiss.

In Ermangelung aggressiverer Methoden, das Getöne der Balzhähne abzuschalten, entschied man sich zur Weiterfahrt und folgte den gemächlichen Windungen der Spree – Altarme links, Altarme rechts – bis man ganz ohne Kilometerlüge nach 14 km auf die Neuhauser Schleuse samt Wehr stieß. Breites Nadelwehr steht da neben sehr schlanker Schleuse im Handbetrieb. Damit kannten sich die Ruderhelden ja schon gut aus, auch wenn dieses schmale Neuhauser Schleuschen nicht dem komfortablen Doppeltormodell z.B. von Leibsch entsprach. Die mittlerweile zu voller Schleusensicherheit austrainierten Mannschaften brachten sich gegenseitig nacheinander durch den engen und hohen Schleusenschacht. Der ist nicht für Klaustrophobiker geeignet!

Statt Tore aufzustemmen (wie in Leibsch), hieß es hier an einer wenig geölten Kurbel drehen, um das Schott aus der Seitenwandvertiefung zu schieben (bzw. in selbe zurück). Sodann ließ man mittels anderer Kurbel das Wasser sachte-sachte durch verborgene Kanäle in der Seitenwand einströmen (oder aus). Und hoppla, war man wieder 50cm tiefer gesunken! Hipp-Hurra, und weiter ging’s durch allerhübschesten Spreeschlängel. Hinter einer kleinen, von mächtigen Kastanien gehaltenen Anhöhe verbarg sich der Oderspreekanal, von dem später noch mehr zu sehen sein würde.

Der Vormittag dehnte sich bald ungebührlich, und die Mägen zogen sich schon zusammen. Wann sollte endlich der Steg mit der Mittagspause kommen? Oha, hatte es an der krächzenden Kurbel von Neuhaus noch geheißen, bald-bald nach der Schleuse. Waren das bald 2km? Oder bald-bald 4km? Die Kilometer- und  Halbkilometerschilder flogen nur so vorbei, aber von Steg, von Mittagspause – immer-immernoch keine Spur. Mägen knurrten, Magenhalter murrten, verspielte die Fahrtenleitung gerade das ihr vollumfänglich entgegengebrachte Vertrauen mit einer billigen Kilometerlüge? Auenwälder zogen sich, hier und da ein verlorener Privatsteg mit großer Beschilderung „Anlegen verboten“, aber wo ging’s hier bitteschön zur Mittagspause! Biegung links, Biegung rechts, und dann – endlich! Der ersehnte Bootsschleppensteg! Der erforderte nochmals Höchstleistung an Koordination und Geschick, war die Einfahrt doch schmal und eng, und damit nicht genug: Spurbreite der Gleise und Radstand der Eisen-Lore stimmten nicht in allen Streckenabschnitten überein, so dass sie auch mal aus der Spur lief. Doch auch diese Herausforderung meisterten die entkräfteten Ruderer bravourös. Dann, endlich – mit Blick auf das zugehörige kleine Drahendorfer (Nadel-)Wehr und dahintergelegener Wehrmann-Bruchbude – ließ man sich wohlverdient ins Gras sinken, fiel über das mitgeschleppte Selbstversorgersortiment von Brot, Wurst, Käse, Obst und Süßigkeiten her. Eine Runde Kräuterprozentiges, spendiert von JoJo, rundete das Mahl gebührend ab.

Die Pause verging, und nun folgte das Gegenprogramm zum vorhergehenden Idyllgeschlängel: Nur eine Biegung weiter mündete die Altspree samt Booten in den Oderspreekanal, wie am Vormittag hinter Kastanien schon angedeutet. Auf dessen schnurgeradem Silberband waren weitere 7km zu zerschlagen. Tatsächlich, 7km weiter, gänzlich ohne Kilometerlüge, zweigte dann auch wie erwartet die Einfahrt zum Badestrand von Berckenbrück ab, an dem rasch festgemacht wurde: Tagesetappe geschafft.

Während der eine Mannschaftsteil unverzüglich zum mehr oder weniger alkoholhaltigen Erholungsgetränk ins „Strandidyll“ einkehrte, sprang der andere Mannschaftsteil unter männlichen Quiekgeräuschen ins kühle-kühlende Nass. Ihre danach entblößten fünf nackten Hintern entzückten insbesondere zwei Berckenbrückerinnen auf ihrer idyllischen Strandbank. Sowas Hübsches hatten sie schon lange nicht mehr gesehen!

Dank Überraschungs-Gepäckabholservice des „Bürgerhauses Berckenbrück“ war der Gewaltmarsch vom Strand zum Nachtquartier gleichen Namens (500m) ein leichtes. Weniger leicht hingegen, die nach warmer Speise verlangenden Ruderer beim Abendessen zufrieden zu stellen. Das dauerte so lang, ja, viel zu lang, also quasi lang-lang, wie manch servicebewußte Experten viel zu deutlich machten. Aber da waren ja auch die Sonderwünsche der anspruchsvollen Spargelesser zu verstehen, bevor man sie erfüllen konnte. Sollte nun das Spargelschnitzel statt mit Schnitzel mit Hühnchen, oder das Hühnchen mit Gemüse statt mit Gemüse mit Spargel gebracht werden? All das musste sorgfältig abgewogen, und sodann geschält, gedünstet und gebraten werden. Es endete schließlich wie stets auf dieser Großen Umfahrt: mit in wohliges Sättigungsgefühl getränkter Harmonie, und einem Abendspaziergang, dieses Mal entlang der akkurat hochgeklappten Bürgersteige von Berckenbrück.

Tag 5: Tag der Kontraste


Wer um 7 Uhr morgens mal die liebevoll abgesteppten Gardinen des Bürgerhauses zur Seite schob, blickte mit bleichem Erschrecken hinaus. Nicht, weil da Nettes Lädchen auf der anderen Straßenseite bereits die Türen geöffnet hatte, sondern weil sich dazwischen etwas gänzlich Unpassendes schob – Regen. Zum Glück vollzog nur eine verschwindend kleine Minderheit der ansonsten reichlich unerschrockenen Rudergesellschaft eine solche Bewegung. Und als es nach dem Frühstück um 10 Uhr losging, himmelte es zwar bedeckt und grau, aber höchstens mit vereinzeltem Tröpfel. Im grauen Paillettenkleid lag der Kanal. Vorbei ging’s mit einem nussschaligen Gefühl an der einschüchternd aufragenden grauen Agrarfabrik vor Fürstenwalde mit ihren mächtigen grauen Silos. Dann, unmittelbar vor der großen Schleusenanlage von Fürstenwalde, bricht die Sonne plötzlich durch. Plötzlich grüner das Grün am Ufer, flirrend das wassergraue Paillettenkleid des Kanals, dunkler das Himmelsgrau, darein gefleckt unirdisches Blau... und impressionistisch eingetupft die bunten Ruderer. Nach den schmalen Schleusen und Schleppen machte sich die Fürstenwalder Kanalschleuse wie ein Wasserpalast aus, in die die herrlichen SCBG-Boote (prinzipiell jedenfalls) problemlos ein- und ausrudern konnten. Was sie auch überwiegend taten. Weiter ging’s auf gerader Strecke! Es wurden Motorboote gesichtet, das gab’s schon lange nicht mehr! Bei Kilometer 72 nahm die Kanalbreite ein Ende: Abfahrt auf Steuerbord an die Große Tränke mit kaum gesichertem Wehr. Anderthalb Meter tiefer breitet die alte Spree wieder ihre windungs- und kilometerreichen Arme aus. Dabei wären es kanalseits nur noch 29 km bis Schmöckwitz! Aber der Weg ist das Ziel (und vor allem die Jägerbude am Abend), und das Schlängeln ist des Ruderers Lust! Bis dass der Koller sie packe!

Damit es sich noch besser in den folgenden Windungen navigieren ließe, und man dem Rastplatz Große Tränke auch angemessen huldige, zückte JeSte eine Runde Wein-Pikkolö-chen Rot/Weiß, nicht zuletzt, um sein Fahrtenabzeichen zu begießen. Ein dreifaches Hipp-Hurra auf seine ersten 800km in 2015. Der Genuß der edlen Tropfen trug dabei – auch bei parallel stattfindender Stärkung – allerdings nicht unbedingt zur Steigerung der Balance bei Einstieg und Abfahrt bei. Große Unglücke blieben aber glücklicherweise aus – es waren ja auch nur Pikkolöchen gewesen. Abfahrt ins Geschlängel, ins Geschlängel, ins Geschlängel der alten Spree, die auch hier bestimmt 30cm mehr Wasser vertragen könnte. Lebendige und tote Bäume, Biberfraß und Schutzzäune um ausgewählte Stämme säumten den Wasserweg mit seiner braunen Tiefwasserkante. Die Fahrt ging durch märkische „Steppe“. Durch den weiten Himmel segelten Schönwetterwolken. Von unten im Wasser wolkte es grün von Blättergezweig und Spreetang an die Boote heran. Über Teichrohrsänger wird jetzt und im folgenden geschwiegen.

Mittagspause hielt man in Hangelsberg und seinem legendären „Spreecurry“, wo man steglos im Uferschmoddersand anlandete und dabei seine Zehen kühlte. Der Wind rauschte durch die hohen Pappeln, an der Imbissbude huldigte man der scharfen oder weniger scharfen Currywurst. Und genoss die Sonne. Danach hieß es weiterhangeln auf der schmäler werdenden Spree. Ihr waren – Renaturierungsbemühungen sei dank – insbesondere zwei ihrer alten Arme wiedergegeben worden, die die Ruderer herzlich umschlossen. Doch ach, die kurvenreiche alte Dame Spree zwang die gestählten Ruderer zu sogenanntem „Muschirudern“: halbe Kraft hier, ohne Kraft da, und immer mal wieder in die Kurven legen (Steuerbord über! Backbord einhängen!).

Zweimal gab es sogar Alarm wegen echter Rentnerboote, das waren motorbetriebene Floß-Kaffeefahrten der anderen Art. Und je weiter sich der Schlängel zog, umso häufiger kreuzten auch Kanuten – mal mehr, mal weniger wild – der Ruderer Bahn. Die Zivilisation schickte ihre Abgesandten immer deutlicher heran! Der Schlängel nahm überhaupt kein Ende. Ruderten sie nicht gar im Kreis? Schlängel weiter, Schlängel fort, bis zum Überdruß des Spreekurvenkollers. Wer hätte gedacht, dass eine Autobahn mal wie eine innig herbeigesehnte Befreiung gefeiert würde? Denn unmittelbar hinter der Brücke der A10 ging es seitlich ab ins Schmodderbecken samt Schwimmsteg der „Jägerbude“: Restauration, Campingplatz, und Gästezimmer vorhanden (und reserviert).

Aber halt: Das Anlanden war dann doch nicht so einfach, denn obwohl noch im Wasser, staken die Boote bereits in der „Mudde“ des Wasserbeckens fest. Wer will da noch Wendemanöver fahren? Schon schlugen die Skulls gar nicht mehr Wasser, sondern zähen Schlamm. Das Boot steht still, das Boot steht fest im Muddenmorast. Wende nicht möglich. Schließlich fügt man sich in sein Schicksal und legt ohne Wende an. Erhobenen Hauptes schreitet man alsbald zum Erholungsgetränk in die Jägerbude.

Die Jägerbude: Von drüben rauscht zart die Autobahn herüber. Die zahlreichen Dauercamper scheint es nicht zu stören. Die Bude selbst: Ein Kitschtraum aus Püppchen, Figürchen, Geweihen und ausgestopften Viechern, Porzellanmäusen, einem Froschballett, einer Mona Lisa. Die Gästezimmer dagegen ein Traum aus Blumen und Blüten, vor allem ihrer Plastikabkömmlinge und entfernten Verwandten in Wasserfarbe und Öl. Doch das Bier war gut, die Bedienung taute zur berlinisch-brandenburgischen Herzlichkeit auf.

Frisches Blut stößt zur Rudertruppe: FraSch löst JoSch ab, denn der hat Verpflichtungen in Übersee und muss auf die letzte Etappe des sechsten Tages verzichten. Auch das deftige Abendessen in der Jägerbude lässt er sausen. Aber gut – Spargel gab’s an diesem Abend sowieso keinen! Es war kein Skandal. Nach lecker Fisch oder Fleisch gab’s einen bezaubernden Sonnenuntergang überm Campingplatz, einen traditionellen Spaziergang im Wald, vorbei ging’s an Kühen hinter Elektrozäunen - und immer mit dem romantischen Rauschen der A10 aus der Ferne.  

Tag 6: Kilometerscheffeln und glückliche Ankunft


Am letzten Tag der Großen Umfahrt brach das große Drama über die Rudergemeinde herein und ward eine schwere Prüfung für das Nervenkostüm der Beteiligten. Die brandenburgische Wildnis im Rücken - bzw. für Ruderer natürlich: im Angesicht -, jedenfalls: eigentlich schon hinter sich, blieb das für halb neun bestellte Frühstück fast im Halse stecken, als es weder um halb, noch um Viertel vor, nicht um, sondern entgegen jeglicher Absprache erst Viertel nach neun serviert wurde. Kunde König wurde vom Kaiser der Jägerbude ausgebootet! Entrüstet kaute man auf den nur halb durchgebackenen Croissants der ersten Morgenstunde herum. Der ganze Ruderplan, sorgfältig ausgeheckt und gefeilt, war in Gefahr! Erst als die quasi perfekt symmetrisch gebratenen Spiegeleier und eine neue Ladung garer Croissants auf dem Tisch bzw. im Magen gelandet waren, besserte sich die Laune, versöhnte man sich langsam wieder mit dem Frühstücks-Hallodri der Jägerbude.

Die Frage, die bereits am Vorabend im liebevoll gestaltenten Gastraum gehangen hatte, war: Wieso sollte eine Große Umfahrt eigentlich auf 188 km beschränkt bleiben? Zumal eine Hälfte der Beteiligten sowieso einen Extra-Haifischflossen-Kilometer errudert hatte und damit verdammt nah an die 200er-Marke gelangt war. Gesagt, getan und umdisponiert: Statt auch nur halbwegs direkt nach Grünau zurückzufahren, beschlossen die Unermüdlichen Zehn, jede Ausbuchtung an Dämeritzsee und Müggelsee zu erkunden, dann auch noch die letzte Biege der alten Spree in Friedrichshagen zu nehmen und so dank GPS-Prüfung die 200 voll zu machen.

Kaum war man dem Schlammpaddeln am Steg der Jägerbude entronnen, ging es noch ein wenig in weichen Windungen der alten Spree entlang, Rhododendröner nahmen zu wie Teichrohrsänger ab. Ein erster Freizeitkapitän mit stolzgeschwelltem Bauch und üppiger Damenbegleitung tuckerte an den Ruderern vorbei und kündete von der Rückkehr der Motorboote. Die Spree wand sich, aber bevor jeglicher Biegungs-Überdruss entstehen kann, hörten die Schleifen auf und entwanden sich in den Dämeritzsee. Nach Wasserfassen und Wasserlassen bei den Wasserfreunden Erkner ging’s im großen Bogen quer über den See, anschließend in den engen Durchlass zum Müggelsee: zwischen tausenderlei Wassergefährten tümmelnd umkämpft-umwogt, bescherte er den Ruderern zum guten Schluss noch manche Wogendusche und nasse Füße. Der Müggelsee empfing sie dann mit steifer Brise und schien dem langen Ruderbogen an der Südküste entlang deutlich ungewogen gegenüber zu stehen. Erst bei Rübezahl und dahinter beruhigte sich der alte Herr und ließ die beiden Boote endlich in Ruhe übers Wasser ziehen. Nur noch wenig fehlte bis zur Stärkung beim Friedrichshagener Ruderverein. Zuerst einen letzten Kräuter (zugleich der erste Jägermeister dieser Fahrt!) auf das dritte Fahrtenabzeichen, das auf der Umfahrt errudert wurde, mit dreifachem Hipp und Hurra auf ABo – dann brach auch schon die erste Große Umfahrtswehmut aus: Das letzte Spargelschnitzel dieser an Spargelschnitzeln nicht armen Tour war zu verzehren!

Nachdem ein nur mäßig vertäutes Boot nochmals gesichert worden war, ließ man sich’s gut gehen, sonnte sich in den Kilometern die schon hinter einem lagen – und brach schließlich zur allerletzten Etappe auf altbekannten Wassern auf. Die schwappten dann aber gar nicht so happy end-nostalgisch-palmoliveweich daher, um mal wieder ehrlich zu sein: die finalen Kilometer waren zäh. Aber immerhin – kaum war der heimische Steg sicher erreicht, die Boote zum Großputz aufgebockt, herrschte eitel Sonnenschein, in dem die Boote nach Grund- und Bodenreinigung – von Mudde und Sand befreit - in neuem Glanz erstrahlten. Allgemeines Strahlen dann auch auf allen Gesichtern, als von EFA-Seiten her die 200km Gesamttourlänge bestätigt wurden.

Die Fahrtenleitung lebte mit einem sechsfachen Hipp-Hurra hoch, die Rudergenossen lagen sich in den Armen, und eine weitere Welle Großer Umfahrtswehmut umwogte den Steg samt der darauf versammelten Fröhlichkeit und dem stolzen Bewusstsein, es gemeinsam geschafft zu haben. Was für eine großartige Tour! Unvergessliche Abenteuer, Wunder und Anekdoten, von denen die Teilnehmer noch ihren Enkeln und Urenkeln.... äh, naja... also, so fuhren denn die Boote in ihre Halle ein, und die Ruderer nach Hause.

Die Handlung beruht auf historischen Personen und Tatsachen und weitestgehend der Realität - oder zumindest dem, wie der Chronist für gewöhnlich seine Wahrnehmungen zu nennen pflegt. Einige wenige Hyperbeln im Text sind dem dramatischen Effekt geschuldet.