Unser Blog

Spreewaldfahrt 2017

„Und während eben noch haffartige Breiten passiert wurden, auf denen eine Seeschlacht geschlagen werden könnte, drängt sich das Boot eine Viertelstunde später durch so schmale Defilés, daß die Ruderstangen nach rechts und links hin die Ufer berühren.“

Schon Fontane, der alte Wasserwanderer, wußte also von den Fährnissen einer Fahrt auf den Gewässern oberhalb Berlins zu berichten. Nach 6 Tagen spreeabwärts vom Oberspreewald nach Berlin-Grünau ist eines klar: nicht umsonst bietet jedes Gasthaus an der Strecke seinen eigenen Kräuterschnaps (im Zweifel hilft auch Eierlikör), damit sich die Reisenden auch am nächsten Morgen wieder  mutig der Spree in die zahllosen Arme werfen können.

Doch halt! Die Idee zur Spreewaldtour war gerade geboren, als nach dem ersten Blick auf die Karte schnell klar wurde, daß dieses Neuwasser guter Planung bedarf. Und so machte sich an einem sonnigen Samstag im Spätsommer 2016 ein dreiköpfiger Erkundungstrupp automobil auf den Weg Richtung Südost, ausgestattet mit diversen Karten und reich an Erfahrungsberichten anderer Rudervereine, um die Spree zwischen Cottbus und Unterspreewald auf ihre Tauglichkeit für unsere 11 Meter langen und (mit ausgefahrenen „Ruderstangen“) 6 Meter breiten Gig-Vierer zu prüfen. Insbesondere den zahlreichen Schleusen galt das Augenmerk: fehlt am Ende doch der entscheidende halbe Meter? Oder macht der Schleusenmeister gewöhnlich eine lange Mittagspause? Und gibt es zwischen den zahllosen Spreewaldkähnen überhaupt ein Durchkommen?

Bei der Schleusenbaustelle in Jedro bei Burg war Schluß mit Erkundung. Die Spree verrohrt, Schotter und Beton statt befahrbarem Wasser. Damit fiel die Wahl des Startpunkts auf das ein paar Spreekilometer abwärts gelegene Gasthaus Dubkow-Mühle. Einsam im Wald, aber mit Steg zum Einsetzen der Boote, Parkplatz, Gaststube und ausreichend Betten. Was wollten wir mehr?

Das Problem der allgegenwärtigen Kähne ließ sich am besten zeitlich umgehen. Nach übereinstimmenden Auskünften der örtlichen Bevölkerung galt es Ostern zu meiden („Anstechen“, also quasi das Anruderfest aller Spreewaldkähne – no way!) und nach dem 1. Mai sei ohnehin kein Plätzchen mehr frei auf dem Wasser. Dazwischen aber gab es ein Zeitfenster!


Und so fanden sich am Nachmittag des Ostermontags 2017 neun tapfere Ruderer und eine tapfere Ruderin auf dem Sattelplatz in Grünau ein, um die Boote zu schnüren und mittels Hänger nach Dubkow-Mühle zu verfrachten. Niemand hat zugegeben nicht zumindest überlegt zu haben, wegen der wenig verheißungsvollen Wetterprognose beim Hausarzt vorstellig zu werden und eine glaubwürdige Krankschreibung zu erschleichen. Respekt! Im Spreewald angekommen, war der Hänger rasch geparkt, die Zimmer bezogen, und bei trügerischem Abendsonnenschein blieb noch ein Stündchen für einen Spaziergang durch die Spreewaldauen. Der Einsatz wurde gleich abends mit einem reichhaltigen Essen belohnt, nach Roulade, Schnitzel und Konsorten starben noch zahlreiche Ochsenfrösche ( = Kräuterschnaps, Variante eins).

Was sollte nach akribischer Vorbereitung der Tour durch die Fahrtenleitung (Strecke und Übernachtungen) und des Essenswarts (separates Amt bei Touren > 3 Tage) schon schiefgehen?  Und so machten wir uns am nächsten Morgen frohgemut an das Anriggern der Boote um rasch festzustellen, daß bei Temperaturen von 2° plus und nebligem Niesel die Finger zackig schnell klamm werden. Die Sonne war am Vorabend wohl etwas vollständiger untergegangen als üblich zu dieser Jahreszeit.

Etappe 1: Von Dubkow-Mühle nach Lehnigksberg



Die Bootsfee waltete des morgens ihres Amtes, hat die Ruderplätze zugeteilt und wenn wir nicht unterhalb sondern oberhalb der Schleuse eingesetzt hätten, wäre uns wohl das Brandenburgische Schleusenabzeichen in Gold am Ende der Tour sicher gewesen. Vor uns die Spree, ausreichend breit, leicht strömend und von einem klaren, frischen Grün. Vorbei am idyllischen Leipe, noch ganz im Vorsaison-Schlummer mit geduckten Holzhäusern, allesamt am Giebel gekrönt von den gekreuzten Köpfen des Schlangenkönigs, dem Schutzpatron des Spreewalds.

Doch es drohte bald die erste Herausforderung der Strecke. Bei der frühstücklichen Lagebesprechung wurde eindringlich das waghalsige Manöver beschrieben, das zum Einfahren in die Schleuse Leipe nötig sein würde. 90° hart nach backbord (ja, nach backbord, Anm. d. Tippse!) und dann trotz zerrender Strömung am Heck sanft in die unmittelbar dahinter liegende Schleuse gleiten. Lief alles tiptop dank kompetenter und nervenstarker Steuerleute. Weniger tiptop: Das Wetter. Einsetzender Regen führte nach Umkleidepause zu modischen Exzessen, der Spreewald versank im Dunstschleier und begleitete uns mit dem stetigen Rauschen der Tropfen auf unserem Weg.

 

Lehde und dann Lübbenau waren die nächsten Ziele, einfach auf der Hauptspree lang lautete die Losung. Wenn es doch nur so einfach wäre! Auf der Karte sieht die Hauptspree aus wie der Kaiserdamm mit ein paar kleinen Seitenstraßen – immer geradezu, kannste nicht verfehlen. In natura gesellen sich längs der Strecke in ähnlicher Breite und ohne sichtbare Hauptströmung diverse Verzweigungen mit teilweise höchst sonderlichen Namen: Eschenfließ, Alter Semisch, Bancerowa, Lehder Südfließ („Moment, Lehde? Wir müssen doch nach Lehde! – Dort geht es aber auch nach Lehde!“). Es folgen Wolschina, Ogrena, Uska Luke, Hechtgraben, an der nächsten Kreuzung geht es links, halbgerade und rechts jeweils nach Lübbenau. Doch mit sicherem Instinkt („Jens, wo müssen wir lang?“) kam die erste Rast in Sicht.

Nach einer herzlichen Begrüßung durch die Hausherrin („Ich wollte schon zumachen, dachte, Sie kommen bestümmt nicht bei dem Wetter“) und voller Vorfreude auf eine heimelige Gaststube mit Bollerofen fanden wir uns auf einer zugigen Terrasse wieder, immerhin überdacht! Madame hat aber alles wettgemacht mit schier unerschöpflichen Vorräten an wirklich heißer Heißer Schokolade mit dicker Sahnehaube und deftiger Erbsensuppe. Sogar die Sonne wollte kurz unser Glück in Augenschein nehmen. Ab hier war zum Warm- und Trockenhalten der Füße das patentierte SMS-Verfahren[1] angesagt.

Frisch gestärkt geht es flott auf Lübbenau zu, eine der beiden Spreewaldperlen mit imposanter Residenz. Den rummeligen Kahnhafen lassen wir links liegen und fröhnen bald wieder unserem neuesten Hobby: Selberschleusen. Also anlegen, Wasser hochholen, Schotten dicht, Boot rein, Schotten auf (andere Seite), ihr kennt das ja. Aber es macht immer wieder Spaß und wir wurden immer besser, vor allem im Selberloben: „Den Schleusenhelfern ein dreifach donnerndes Hiphip-Hurrrraaa!“ Außerdem bedanken sich die strapazierten Körperteile für den temporären Belastungswechsel. Eine himmlisch friedliche Landschaft zieht gemächlich an uns vorbei, Erlenwälder soweit das Auge reicht, noch wintervermummte Spreewald-Kähne in jeder noch so kleinen Bucht geparkt, hie und da gewährt uns Familie Biber einen Blick in ihre Speisekammer. Die Herrschaften neigen offenbar dazu, ihren Teller nicht leerzuessen und entscheiden sich oft schon während der Essenszubereitung gerne um: „Was, heute doch keine Erle, Schatz? Na gut, dann fäll‘ ich eben schnell die Eiche dort…“ Dementsprechend sieht es in ihrem Kühlschrank aus – angebrochene Packungen soweit das Ufer reicht.

Auf der Spree passieren wir weitere Fließe mit Namen, die man auf der Zunge hin und her wälzen muß: Dem Kreuzgraben folgt die Puschhalle, der Trustettgraben, Zerkwitzer Kahnfahrt, Lübbenauer Buschspree und die Balloke. Nach und nach sammelt die Spree alles verliehene Wasser wieder ein um dann in nur noch zwei parallelen Fließen auf Lübben zuzurauschen. A propos Rauschen: auch wenn sich die Strömung selten sichtbar zeigt, so verschafft sie uns doch ein kontinuierliches Plus von 2 km/h, wie die in beiden Booten installierte hochempfindliche Meßtechnik zuverlässig protokolliert.

In Lübben selbst machen wir erstmals Bekanntschaft mit einer ganz besonderen Spezies von Dienstleistern: freischaffenden Bedienern an Selbstbedienungsschleusen. Eigens für diese hochspezialisierte Aufgabe gecastet fungieren sie als Aushängeschild der Tourismusregion. Beschämend freundlich und voller Arbeitseifer lesen sie uns jeden Sonderwunsch von den Augen ab. [Bediener öffnet nur den linken Torflügel] „Könnten Sie noch die andere Seite aufmachen?“ – „Da passt ihr durch“ – „Das Boot paßt nicht durch!“ [es war schließlich die xte Schleuse gleicher Bauart] – „Die Kähne passen auch durch“ – „Das ist aber kein Kahn“ [Er öffnet murrend den zweiten Torflügel]. „Das zweite Boot kann gleich mit rein“ [die Schleuse ist keine 5 Meter breit!] – „Auf gar keinen Fall!“ Ergebnis: wir machen die meisten Handgriffe selbst, während der Herr sich selten mehr als zwei Meter von seinem Campingstuhl entfernt. In der Schleuse gibt es dann trotzdem den üblichen Obulus in das herabbaumelnde Eimerchen, man will ja nicht so sein.

Endspurt durch eine Schikane der Schleusenbaumeister: Nach dem Tor zum Unterwasser unterqueren wir eine Straßenbrücke – praktischerweise genauso schmal eingemauert wie die Schleuse selbst und das über drei Bootslängen. Doch das Nachtquartier ist nicht mehr weit. Kurz hinter Lübben biegen wir mit elegantem Schwung in den geradezu pompösen Bootshafen der Gaststätte Lehnigksberg ein. Inzwischen hat sich das Wetter auf Sonnenschein geeinigt und nach der üblichen Ankunftsroutine lockt die Verkehrstechnikgeschichte der Gegend zu einer fußläufigen Erkundung.

Direkt am Gasthaus wird die Spree nämlich von einer alten Brücke gequert, welche von kundigen Ingenieuren in unseren Reihen sofort als Relikt der Spreewaldbahn identifiziert wurde. Diese verband auf schmaler Spur seit 1898 die Städte Lübben, Burg und Cottbus und hörte auf den charmanten Namen Bimmelguste. Heute führt über sie ein Rad- und Fußweg, der schnurgerade am Horizont verschwindet. Wir bogen vorher ab und spazierten bei eisigem Nordostwind am Ostufer der Spree entlang und querten diese wenige Kilometer flußabwärts wieder auf einer weiteren aufgelassenen Bahnbrücke, diesmal der einstigen Niederlausitzer Eisenbahn, mit der die Lübbener bequem nach Beeskow reisen konnten – eine Strecke, die wir auf dem Wasser zurücklegen werden.

So schnurrte die Wartezeit zum abendlichen Essenfassen auf ein erträgliches Maß zusammen, andere vertrieben sich die Zeit mit einem Ausflug nach Lübben auf der Suche nach pulsierendem Stadtleben, andere schnürten den Laufschuh und schrubbten Zusatzkilometer oder vertrieben sich die Zeit anderweitig.

Die klaffenden Kalorienlücken wurden des Abends restlos gefüllt und diesmal war Hechtsuppe das Verdauerchen der Wahl.

Etappe 2: Von Lehnigksberg nach Werder


Um Mißverständnissen gleich vorzubeugen: es gibt tatsächlich ein, wenn auch klitzekleines, Werder an der Spree. Wir sind mitnichten in einem Rutsch nach Werder / Havel gerudert!

Für die heutige Etappe war flottes Vorankommen eingeplant. Die Spree hat sich hinter Lübben auf einen Hauptstrom zusammengefunden und somit sollten keine Engstellen oder Wegwirrnisse unsere Fahrt bremsen. Aber wir hatten die Rechnung ohne den Planungseifer der Wasserstraßenverwaltung gemacht. Die erste Schleuse des Tages wurde weithin sichtbar von haushohen Kränen überragt, die Erkundung des Vorjahrs erwies sich als Makulatur und die Schleusen am Westufer waren zugeschüttet und mit Spundwänden verrammelt. Kurzum: Das Wehr in Hartmannsdorf war eine einzige Baustelle. Immerhin reichte die Weitsicht der Baubehörde soweit, am Ostufer eine provisorische Schleuse einzurichten, die prinzipiell die Durchfahrt ermöglichte, doch die Anfahrt glich einem wahren Einparkmanöver. Pünktlich zum Schleusen endete die Frühstückspause der Mitarbeiter eines hier ungenannt bleibenden Baudienstleisters (einer der Mitruderer konnte mittels kollegialer Gespräche Hintergrund und Zeithorizont der Baumaßnahme eruieren) und die Vibrationsramme wurde in Position gebracht, um eine weitere Spundwand in den Flußgrund zu rütteln. Der Spreewald hat gewackelt und jedes Kommando in der Schleuse ging im Wumms der Technik unter. Dazu kam die tosende Strömung im Unterwasser, da die Spundwände den sonst 30 Meter breiten Durchlaß auf wenige Meter verknappten.

Egal. Wir kamen durch, waren spätestens jetzt wach und die erste Rast der Fahrt bei übrigens äußerst frischen Temperaturen (Graupelschauer eingeschlossen) war nicht mehr weit. Trotz gelegentlicher Neudefinition der Begriffe backbord und steuerbord durch einen gewissen Steuermann (Jaja, ist gut jetzt! Anm. d. Tippse) landeten wir sicher in Schlepzig und jeder der wollte hielt sich an einer heißen Tasse Kaffee fest. Es wurde mit der Wirtin über den wetterbedingt äußerst schleppenden Saisonstart parliert, währenddessen ein wackerer Trupp Kahn-Ausflügler verfroren an Land stakste. Übrigens: Ein Spreewaldkahn bewegt sich auf dem Wasser etwa in derselben Geschwindigkeit, mit der man einen badewannengroßen Betonklotz durch den heimischen Vorgarten wuchten könnte. Es gleicht einem Wunder, daß die per Kahn verschipperte Spreewaldpost ihre Empfänger noch zu Lebzeiten erreicht.

An der Schleuse Leipsch lockte die Abkürzung nach Berlin: an diesem Wasserstraßen-Dreieck wechselten wir vor 2 Jahren – über den Dahme-Umflutkanal von Prieros kommend –  auf die Spree. Ab hier war das Spreewald-Neuwasser Geschichte und wir konnten uns nach den ersten Spreeschleifen wappnen für den Neuendorfer See, auf dem uns Wind und Wetter so richtig zeigten, was geht, um ein Ruderboot zu ärgern. Nach der Kesselschleuse Alt-Schadow aber schlängelten wir uns windgeschützt gen Etappenziel, so daß wir zu einer kommoden Tageszeit die Anlande-, Auslade- und sonstigen Ankunftsprozeduren hinter uns brachten und alsbald bei strahlendem Abendsonnenschein im Speisesaal des Spreewaldgasthofs Matschke ausgezeichnet verköstigt wurden. Spreewaldbitter heißt der dortige Hausschnaps (etwas unoriginell, wenn die Bemerkung erlaubt ist), dafür aber sind die Eisbecher von tödlicher Dimension.

Etappe 3: Von Werder nach Beeskow


Insgeheim mag sich manch Fahrtteilnehmer gefragt haben, was wir denn die verbleibenden 4 Tage so machen – schließlich ging es bisher ausgesprochen flott auf Berlin zu, und unser Ziel Grünau liegt keine 40 km Luftlinie entfernt. Wer so denkt, hat die Rechnung ohne die Spree gemacht, wie wir gleich am nächsten Morgen ausführlich feststellen konnten. Erst einmal hat sie sich entschieden, Brandenburg noch einmal ganz in Ruhe und ganz genau zu inspizieren, bevor sie hinter Fürstenwalde (weit, weit spreeabwärts) direkt auf Berlin zufließt.  Jetzt wird erstmal Richtung Osten gebummelt, Kürvchen links, Kürvchen rechts, das Ganze nochmal und weil‘s so schön war gleich von vorne. Und jetzt alle! Das fand bis zur Mittagspause kein Ende, sondern nur eine willkommene Unterbrechung im Gasthaus Pawlak in Trebatsch, wo wir uns – dem Essenswart sei Dank – mit Brathering und anderen Köstlichkeiten für die restlichen Kilometer stärken. Und nebenbei die ausgesprochen raumgreifende, die Wände Schaukasten um Schaukasten zuwuchernde Modell-LKW-Sammlung des Hausherrn oder der Hausherrin – you never know! – ähmm, wie war das Wort? Genau, bewundern.

Wieder auf der Spree schleift es weiter, doch bald folgt eine deutliche Kurskorrektur auf Südsüdost – wir machen einen Abstecher quer über den Schwielochsee nach Jessern, zum Gelände des Cottbusser Rudersportvereins. Selbstverständlich stehen die Anmut der Landschaft und der Spaß an sportlichem Miteinander im Vordergrund und nicht etwa schnödes Zusatzkilometerschrubben! Außer einem wunderschön gelegenen weiten Vereinsgelände und einem verbliebenen Steg war von Ruderaktivität in Jessern nichts zu sehen. Immerhin bescherte uns das Südufer des Sees eine sonnige und halbwegs warme Rast.

Ob es auch die Henkersmahlzeit war soll sich alsbald zeigen, wenn wir wieder zurück auf der Hauptroute den Glower See passiert haben und nach dem Leißnitzsee uns der größten Herausforderung des Tages stellen: Der Tiefseilfähre von Leißnitz nach Ranzig. Eine hochgradig perfide Konstruktion! Im Ruhezustand schlummert das schlaffe Seil am Spreegrund und nur ein dezentes blau-weißes Schild verweist auf die Existenz einer querenden Fähre. Tritt die Fähre aber in Aktion, so wird als erstes das Stahlseil straff gespannt, etwa einen Meter über der Wasseroberfläche, und ist damit bestens geeignet, des Wasserwanderers Eile äußerst wirksam zu hemmen: das Seil würde die Ruderer etwa in Höhe der Halswirbel waagerecht in zwei ungleiche Hälften zerteilen.

Diesem Abenteuer heil entronnen waren es tatsächlich nur noch wenige Kilometer bis Beeskow, gefühlt hat sich’s doch wieder gezogen. Vielleicht ahnte der Körper schon, daß der Etappe 3 noch eine Etappe 3a folgte?

Nach (wirklich) freundschaftlichem Empfang im Bootshaus Beeskow am linken Spreeufer, wo die Boote übernachten würden, stand uns Zweibeinern noch ein kleiner Gewaltmarsch zum Quartier bevor, dem rechts der Spree gelegenen Hotel Märkisches Gutshaus. Von den Ortsansässigen wurde dies mit dem Satz kommentiert: „Die übernachten ja gar nicht in Beeskow!“. Offenbar gibt es nicht nur in Köln eine „Schäl sick“ am falschen Ufer des Flusses. Viele Schritte später trafen wir in feudalem Ambiente (Gutshaus eben) auf ein menschliches Relikt des vormaligen Arbeiter- und Bauernstaates – die Empfangsdame kannte alle Kniffe, um die erwünschte Zucht und Ordnung ihren Gästen nahezubringen, auffallend dezent platzierte Überwachungstechnik eingeschlossen. Die Liebe zur jüngeren Vergangenheit reichte allerdings nicht soweit, daß nicht die Kernidee der neuen Zeit (Geld?) auch ihren Platz in der Disziplinierung der Gäste gefunden hätte. Wortreich und untermauert durch körperliche Präsenz wurde jeder Versuch unterbunden, ohne sofortige Zahlung des Übernachtungsentgelts auch nur einen Schritt Richtung Beeskower Innenstadt zum Abendessen zu wagen. Dortselbst angekommen futterten wir uns in der Kirchenklause munter die Speisekarte rauf und runter um nach ausgiebigem Heimweg satt und müde in die herrschaftlichen (und bereits bezahlten) Betten zu plumpsen. 

Etappe 4: Von Beeskow nach Berkenbrück


Wer nun denkt, nach dreimal sechs Dutzend Spreeschleifen wäre diese Etappe passé, der irrt. Die ersten Kilometer hinter Beeskow macht sich die Spree im Flachland gemütlich breit und trägt die Boote auf steter Strömung und ohne allzuviele Windungen gen Norden. Doch nach etwa 10 Kilometern Fahrt kommt die Bautätigkeit vergangener und gegenwärtiger Zeiten ins Spiel und bestimmt die weitere Tour. Wie schon im Spreewald macht sich auch an der Schleuse Neubrück ein weiterhin ungenannt bleibender Baukonzern zu schaffen und sichert sein Tun durch weitgefaßte Absperrungen. Eine Behelfsdurchfahrt fehlt allerdings, so daß wir erneut über Neuwasser schippern, um den gesperrten Spreeabschnitt, die Drahendorfer Spree, zu umfahren und auf den Oder-Spree-Kanal zu gelangen, an dem unser Etappenziel Berkenbrück liegt.

Der Weg dorthin führt erst einmal über den Wergensee bis zur Schleuse Neuhaus, die uns nach einer ausgiebigen Selbstverpflegungspause (trocken, halbwegs sonnig) nicht wenige Meter nach oben (!) schleust. Der Schleusenmeister versäumt es nicht, zur bequemeren Durchfahrt die direkt folgende Zugbrücke anzuheben und damit den Straßenverkehr der Region für ein Viertelstündchen zum Innehalten zu zwingen. Und schon finden wir uns auf dem Neuhauser Speisekanal wieder und blicken aus erhabener Position auf unsere eben befahrene Strecke. Wie das, bei einer Tour spreeabwärts? Hier kommen die Baumeister vergangener Zeiten ins Spiel…

Anders als es der Name nahelegt handelt es sich beim Neuhauser Speisekanal nicht um eine 2,8 km lange Freßmeile, sondern quasi um eine Dauerinfusion, die den Wasserstand des Oder-Spree-Kanals an seiner höchstgelegenen Stelle mittels hochgepumpten Spreewassers aus dem Wergensee auf Pegel hält. Neben der Schleuse Neuhaus steht eine Pumpstation und im Oberwasser brodelt das eingepumpte Wasser mächtig vor sich hin. Der Kanal ist eine der ältesten Wasserstraßen in Brandenburg und war als Kaisergraben das erste Teilstück einer Verbindung zwischen Spree und Oder, die bereits 1558 zwischen dem österreichischen Kaiser Ferdinand I. und Kurfürst Joachim II. beschlossen wurde. Das damals habsburgische Schlesien sollte auf diese Weise mit der Nordsee verbunden werden. Der Abschnitt bis Müllrose wurde nach nur 6 Jahren Bauzeit fertiggestellt (na bitte, geht doch!), der Weiterbau aber wegen Geldmangels und kriegsbedingt eingestellt. 1668 schließlich stand die Verbindung zur Oder und war über 200 Jahre lang bis zur Eröffnung des leistungsfähigeren Oder-Spree-Kanals 1891 eine der meistbefahrenen Wasserstraßen in Brandenburg. Und wir durften über einen 453 Jahre alten Kanal rudern!

Auf dem Oder-Spree-Kanal angelangt steht uns noch einiges an Kilometern bevor, aufgelockert durch die zuverlässige und detailreiche Kilometrierung, wie wir sie von Bundeswasserstraßen kennen. Zuerst noch fällt der Blick gelegentlich auf die ganzen Kilometer und je länger die Kanalstrecke wird, desto mehr klammert man sich an die hundert Meter-Schildchen, die auch immer weiter auseinander zu stehen scheinen. Nach der Schleuse Kersdorf sind wir wieder auf das natürliche Spree-Niveau gesunken, von backbord gesellt sich die umfahrene Drahendorfer Spree zu uns und auch an diesem Tag naht das Etappenziel: Das kleine Dörfchen Berkenbrück – mit nicht mal 1.000 Einwohnern immer noch eine eigenständige Gemeinde mit Bürgermeister und Gemeinderat. Direkt am Wasser finden die Boote auf der Berkenbrücker Multifunktionswiese ihr Nachtquartier. Diese Wiese ist zugleich Badestelle, Bootsanleger, Spielplatz, Rentnerbänkchen, Knutschecke, Bolzplatz, Biersaloon (leider zu), Hundearena, und wer weiß, wozu sie bei wärmeren Temperaturen auch noch dient.

Der Check-in in der Unterkunft bedurfte einiger Geduld vor verschlossener Tür, da unser Pensionswirt (und gleichzeitig unser Gastgeber für’s Abendessen) nicht zugegen war. Als sich dann jedoch herausstellte, daß seine Abwesenheit durch das Besorgen eines Zentners frischen Spargels extra für uns begründet war, na, da wartet man doch gern ein Weilchen. Des Abends blieb dann auch keine Stange unverputzt, Spargel mit Schnitzel, mit Schinken, mit Butterbrösel, mit Hollandaise, mit Ei, Spargel mit extra Spargel. Wozu hatten wir denn mit einem ausgiebigen Nachmittagsspaziergang – wahlweise einem Nachmittagsschlummer – eigens Platz in den Bäuchen geschaffen?

Etappe 5: Von Berkenbrück nach Jägerbude


Ok, der erste Teil dieser Etappe ist landschaftlich nicht sonderlich attraktiv, Schifffahrtskanal eben, nur durch die entsprechend dimensionierte Schleuse in Fürstenwalde unterbrochen. Bei schönstem Frühlingswetter jedoch gewinnt auch diese Strecke an Reiz – nur daß unser Wetter leider auf den Namen Dezember hörte. Diverse Schauer, in flüssiger und fester Form, peitschende Böen und damit einhergehender Wellengang sind unsere treuen, deswegen aber noch lange nicht liebgewonnenen Begleiter.

 

Bevor wir die verdiente und ersehnte Pause an der Großen Tränke einlegen können, muß bei ungünstigem Wind und ins Wehr ziehender Strömung erst einmal der Steg erreicht werden. Dort empfängt uns wieder eine Baustelle, doch diesmal ein Klacks mit rot-weißem Flatterband. Die Strecke der Bootsschleppe wird inklusive Schienen erneuert – dann werden die Boote eben getragen. Zuvor fahren wir als krönenden Abschluß der Rast unsere Eierlikörvorräte auf Null, die letzten Schoko-Waffel-Becher gehen reihum und werden anschließend stilecht biologisch-kulinarisch entsorgt. Nach fachmännischer Begutachtung der Strömung im Wehr („Es strömt ganz schön!“) setzen wir die Boote im Unterwasser ein und setzen die Fahrt auf der hier vom Oder-Havel-Kanal abzweigenden Müggelspree fort, die uns bis an die Berliner Stadtgrenze tragen wird.

Fahren wir anfangs noch durch eine wellige Landschaft mit einigen Steilhängen, die die Spree in die Moränen gefräst hat, weitet sich der Horizont mit jeder Spreeschleife mehr. Einstmals begradigte Flußabschnitte führen nun wieder durch das alte Bett (noch mehr Schleifen – aber auch mehr Kilometer!) und wir genießen – zwischen den heftig attackierenden Böen – die entspannte Natur. Moment mal, Natur? Checkliste! Biber: ist da, Schwäne: en masse, Kormoran: yep, Reiher: echt und aus Plastik, Teichrohrsänger: … Teichrohrsänger? Die alles beschallende, nervenzerrüttende akustische Strafe intakter brandenburgischer Fließgewässer? Es ist still! Also, relativ still: die Skulls klacken in den Dollen, die Spree plätschert, der Wind pfeift, die Bäume rauschen, aber sonst? Das typische krrrrr-krrrk-krrrrrr-krrrgh, wo ist es geblieben? Die weite Welt des Wissens weiß auch hierauf eine Antwort: Der Teichrohrsänger (im Volksmund übrigens auch Rohrspatz genannt) ist doch tatsächlich ein Zugvogel, der mit seinen gerade mal 15 g Körpergewicht jedes Jahr die 5.000 km bis südlich der Sahara runter- und wieder hochdüst. Das wäre – umgerechnet auf das nur unwesentlich höhere Körpergewicht der Tippse – einmal zum Mars und zurück flattern, wenn’s hier im Winter zu zugig wird. Chapeau! Und da der Teichrohrsänger offenbar eine zuverlässigere Langfristwetterprognose abonniert hat als wir und außerdem mit Flexticket reist („Fahr-ten-lei-tung!“), hockt er noch schön in Afrika und wärmt sich den Hintern, während wir hier… aber lassen wir das!

Angler: Eine Spezies für sich. Seit Menschengedenken stehen sie an Ufern und halten eine Stange ins Wasser, von der eine Schnur baumelt. Wenig Platz für Innovation, sollte man meinen. Doch plötzliche, stramme Kommandos schrecken die spreeschleifensedierten Mannschaften auf: In Brandenburg wird neuerdings quer über den Fluß geangelt und die Leinen ziehen sich knapp über Kopfhöhe bis ans andere Ufer, mittig dezent markiert mit einem Fitzelchen Flatterband. Der tiefere Sinn der neuen Fangtechnik bleibt unergründet, vermutlich entweder ein neuer Trend oder ein maßgeblicher Angelvereinsvorstand hat eine Angelanleitung falsch rum gehalten und alle im Ort denken jetzt, das muß so. Wir werden jedenfalls künftig alle Boote mit auf Knopfdruck versenkbaren Bootsflaggen ausrüsten, da diese sich im Gegensatz zur Mannschaft nicht von alleine bücken können, um unter Angelschnüren durchzuschlüpfen.

In all die gewaltigen Fänge der Natur schleicht sich, dezent erst, dann mit zunehmender Wucht, der Sound der Zivilisation. Kurz vor unserem Etappenziel, der Jägerbude, quert der Berliner Ring die Spreeauen auf einer langgezogenen Brücke, und so ungern man vermutlich täglich das Tosen und Wummsen der Autos um sich hätte, so verheißungsvoll künden uns diese Geräusche vom greifbar nahen Ende der Endlosschleifen. Mit elegantem Schwung noch in den Parkhafen eingeschwenkt und schon steht nach kurzer Erholungspause einem – wie die vormalige Erfahrung zeigte – sehr schmackhaften Abendessen nichts mehr im Weg.

Sollte bis heute die Herkunft des Ausdrucks „die Rechnung ohne den Wirt machen“ noch nicht geklärt sein, so ist sie es jetzt: Getreu dem Motto „Der Gast ist König, aber ich bin die Kaiserin“ läßt der Wirt und gleichzeitig Küchenchef der Jägerbude uns halbverhungerte Langstreckenathleten geschlagene zwei Stunden mit knurrenden Mägen auf’s Essen warten.

Kulinarisch alles wirklich überzeugend, ebenso das Frühstück am nächsten Morgen mit Bergen frisch gebratener Eier und einer in den letzten Tagen nicht gekannten Auswahl auf dem Tisch. Nur scheint es immer wieder einen ganz besonderen Preis zu geben, der dort zu zahlen ist.

Etappe 6: Von Jägerbude nach Berlin-Grünau


So, Herrschaften, Endspurt! Heute steht auf dem Programm: ein bißchen Spree, hie und da ein See, ein bißchen Kanal und dann noch die Dahme. Klingt locker, oder? Wir lassen die letzten Schleifen der Spree genüßlich ausklingen, schaffen es irgendwann auch, bei den Wasserfreunden Erkner anzulegen und genießen mit Blick auf den Dämeritzsee die erste Pause. Ein Ruderanfänger macht im Hochzeitseiner unter dem wachsamen Blick des Steuermanns seine ersten vielversprechenden Züge. Die letzten Essensvorräte werden in den Ring geworfen (immer wieder erstaunlich, was da so alles noch auftaucht) und vertilgt, den ersten Regenschauer aus apriltypischem Himmel warten wir noch ab, um danach rasch abzulegen, denn das Wetterradar verheißt heute keine großen Freuden. Auf dem Gosener Kanal und dem Seddinsee trifft es uns dann mit voller Wucht, peitschender Regen mit Graupel, heftiger Wind und tosende Wellen, natürlich aus genau der falschen Richtung. In Schmöckwitz wiederum Sonnenschein, als wäre nichts gewesen, nur der schon sehr stramme Westwind legt immer weiter zu.

Die verbleibenden 5 km gestalten sich im Verhältnis Fahrzeit zu Fahrstrecke, nun ja, überraschend  inhomogen. Von Schmöckwitz bis Bammelecke brauchen wir etwa ebenso lang wie für den kümmerlichen Rest bis zum SCBG. Und nein! Es gibt keinen Stau, wir stehen nicht an einer roten Ampel, es gibt keine zusätzliche Essenspause. Die Bammelecke festigt an diesem Tag nur ihren Ruf als Wetterscheide: auf diesen letzten westwärts ausgerichteten Metern schlägt ein derart zackiger Sturm zu, daß wir Bootsinsassen froh um jeden einzelnen Zentimeter sind, den wir vorankommen.

Man könnte glatt meinen, Spree und Dahme haben uns so lieb gewonnen, daß sie uns um keinen Preis gehen lassen wollen. Nehmen wir’s mal als Kompliment und sagen unsererseits: Herzlichen Dank, es war bezaubernd, die sechs Tage auf euren Wellen zu reiten!

Doch gilt ein mindestens ebenso großer Dank denjenigen, ohne deren Tun diese erlebnisreichen und (zumindest für den Kopf) erholsamen Tage nicht so erlebnisreich und erholsam gewesen wären:

Der Fahrtenleitung allen voran in Person von Jens für die tiptop Organisation, akribische Recherche vorab und unermüdliche fotographische und meßtechnische Dokumentation sowie allmorgendlichen Feenzauber, den beiden Bootsobleuten Michael und wieder Jens für ein stets kompetentes und doch entspanntes Hutaufsetzen wenn Hutaufsetzen nötig war. Adrian, Tilman und Thomas W. für die Expedition zur Streckenerkundung, denen keine Schleuse entging, auch wenn sie sich noch so tief im Gebüsch versteckte. Franz für das geduldige Be- und Entlademanagement der Boote (inklusive Reinigungsorgie am letzten Tag), auf daß keines der Boote auf der A13 strandete. Adrian again für das mehrfache und klaglose Ausklappen der Anhängerkupplung und die folgenden Hängerfahrten bei maximal Tempo 80, sei es beladen oder unbeladen. Tilman again für das nun wirklich unverzichtbare Amt des Essenswarts – es  ist immer wieder eine hohe Kunst uns alle am Tisch einerseits satt und andererseits zufrieden zu bekommen.

Und zu guter Letzt einfach euch allen ein Riesendankeschön, daß ihr dabei wart und euch von keiner Wetterunbill habt unterkriegen lassen. Insbesondere natürlich unseren drei internationalen Gästen, die weder Kosten noch Mühen gescheut haben, um von den fernen Gestaden des Rheins an die Spree zu reisen.

Und wenn wir schon beim Rheinland sind: diesmal bekommt jemand einen Sonder-Ehrenpreis für sein Lebenswerk. Tusch, Trommelwirbel, Spannung…

Dieser geht an einen gewissen Hans Riegel aus Bonn, der vor bald 100 Jahren das Gummibärchen erfand und ohne den jede Wanderfahrt aus Kalorienmangel spätestens nach der halben Strecke abgebrochen werden müßte. Worin der Preis besteht, fragt ihr? Ganz im Sinne des Erfinders: Nächste Tour werden noch mehr Haribos verputzt – versprochen!

 

Als Quellen und zur Recherche dienten (Vielen Dank!):

Der Reiseführer „Spreewald“ aus dem sympathischen kleinen Berliner Vis-a-vis-Verlag, googlemaps.de und de.wikipedia.org. Das Eingangszitat stammt aus dem vierten Band „Spreeland“ der Wanderungen durch die Mark Brandenburg von Theodor Fontane.

 [1] SMS-Verfahren:  Socke-Mülltüte-noch ne Socke