EuroGames 2024 Vienna - eine sehr persönliche Nachlese

Als Kind und Jugendlicher habe ich Schulsport gehasst. Allenfalls Geräteturnen und Segelkurse während des Abiturs fand ich spannend. Heute?

Heute sieht das ganz anders aus. Seit zehn Jahren rudere ich bei Queerschlag, seit diesem Jahr quälen mein Zweierpartner Marian und ich uns einmal die Woche im Rennboot durch Technik, Kraft, Ausdauer und Belastungsfahrten. Freiwillig. Lohnt sich das? Und warum? Das sehen wir gleich noch.

2018 war mein „erstes Mal“: Die EuroGames in Paris. Damals bin ich nur der ausgelassenen Stimmung bei den Queerschlag-Ruder:innen gefolgt. „Dabei sein ist alles“ hat mir schon gereicht. Und mehr haben wir auch nicht geschafft. Die EuroGames in Nimwegen habe ich gar nicht richtig wahrgenommen weil die Stimmung nicht überschwappte und zur Regatta Quer durch Berlin konnte ich wg. Corona letztlich nicht antreten.

In diesem Jahr war alles anders. Wer auch immer die Idee aufgebracht hat zu den EuroGames 2024 in Wien anzutreten: Ich bin dir sehr dankbar. Er oder sie hat auch genau die richtige Stimmung getroffen: Begeisterung bei den Leuten, die eh schon gerne Rennboot fahren.

Es ist gar nicht so wichtig wie der Weg bis Wien im Detail ablief. Feststeht, dass alle Wien-Interessierten Anfang Februar in einem mondänen moabiter Wohnzimmer an großer Tafel Planungen für Wien vorangetrieben und Mannschaften gebildet haben. In zwei Booten bin ich gelandet: In einem Doppelzweier mit Marian und einem Mixed-Vierer mit Regina, Tatjana und Andreas. Gerade beim Doppelzweier hatte ich zum einen Respekt (anspruchsvoll an die Technik) und zum anderen null Erwartungen. Sorry, Marian! Der Abend endete mit eingeteilten Mannschaften, leckerem Essen und Aufbruchstimmung.

Wie stabil und erfolgreich das noch alles werden sollte zeigte sich in den kommenden Wochen. Seit Anfang März sitzen Marian und ich also regelmäßig im Boot. Die ersten Ausfahrten waren wackelig, das Wetter spielte nicht mit, an Belastungsfahrten war im Traum nicht zu denken, Wellen brachen nicht ab und eine sonnige Ausfahrt war ein echtes Highlight. Noch dazu hatte ich mich selbst auf Platz eins gesetzt: „Hab ich schon ein paar Mal gemacht, ist vielleicht sicherer, können wir später noch ändern“. Wohl war mir dabei aber nicht und die Bootsbesetzung haben wir auch nicht mehr geändert.

Über die Wochen wurden die Ausfahrten mit Marian zur Konstante. Umdrehen, Kurs bestimmen, auf die eigene Technik fokussieren, Marian gelegentlich korrigieren, Kraft aufs Blatt bringen, anlegen, dem Regen trotzen und vor allem gemeinsam entscheiden wie wir das Training gestalten. Das Training gewann an Leichtigkeit und durch die Regelmäßigkeit an Sicherheit.

 

Die Wochen vergingen und Wien stand schneller vor der Tür als ich gedacht hatte.


Wenn man länger auf eine Regatta hinarbeitet, kommt irgendwann auch der Tag an dem man die hart erarbeitete Leistung bringen muss. Für mich und Marian hieß das, dass wir am Freitag Morgen um 8:00 Uhr das erste Rennen der gesamten Regatta gegen einen Doppelzweier der Zurich Penguins fahren sollten. Nur eine Fahrt gegen die Zeit aber schön soll‘s ja auch aussehen. Und blamieren will man sich nicht. Da war schon Druck da. Ich war so aufgeregt, ich hatte Tränen in den Augen. Am Start wars dann ganz routiniert. Die Organisatoren hatten sogar für ein Startponton gesorgt und Helfer:innen akquiriert, die die Boote hielten. Was für Luxus! Inzwischen liebe ich die Startaufrufe -„Zurich“ -„Grünau“ -„Attention!“ -„Go!“ Im ersten Moment drücken sich mit einem satten „Klonk“ die Manschetten in die Dollen und dann heißt es mit viel Kraft und kurzen Schlägen das Boot anzuschieben. Fünf Kurze, dann zehn Volle und mit aller Kraft. Das Boot gewinnt an Fahrt, die Technik läuft sauber, niemandem von uns beiden unterläuft ein Fehler und so langsam merken wir wie wir die Zurich Penguins hinter uns lassen. Der Druck verfliegt, Routine übernimmt und dann heißt es nur noch durchhalten. Nach 750 m sind unsere Beine durch und wir im Ziel angekommen. Am Steg werden wir mit Mikrofon erwartet und dürfen Dinge sagen wie „very exhausted“, „very excited“ und „what an amazing job“. Die Ruderkamerad:innen fallen uns um den Hals. Erleichterung und Freudentränen. Haben sich die ganzen Strapazen gelohnt? Ja!

 

Quelle: Regina

 

Mit dem Mixed Doppelvierer läuft es ganz ähnlich. Ein Mannschaftsmitglied hat gewechselt, den neuen zweiten Mann im Team hat es mit einer Erkältung am Vortag flachgelegt. Ersatz musste dringend her. Dank internationaler Völkerverständigung und tiefergehender Bindungen haben wir Ersatz bekommen und Marcus von den London Otters für den Mixed Doppelvierer zu Queerschlag zurückgeholt. Und der läuft auch mit der spontanen Neubesetzung erstaunlich routiniert: -„Grünau“ -„London“ -„Attention!“ -„Go!“ Ein „Klonk“ und das Boot läuft nicht nur rund sondern im Zeitlauf auch als erstes durchs Ziel. Von allen Mixed Vierern haben wir die beste Zeit in den Zeitläufen.

 

„What an amazing job!“ Haben sich die ganzen Strapazen gelohnt? Genau dafür, ja!


 

Quelle: Konstantin

 

Der Freitag Vormittag wird warm, kein Wölkchen am Himmel, der Nachmittag wird drückend heiß, an der Badestelle beginnen die ersten „Otters“ die britischen Inseln nachzubilden. Es mangelt an nichts. Kuchen gibt es en masse, Getränke genauso wie Mittag und selbst Kartenzahlung ist kein Problem. Die Schiedsrichter sind entspannt, die Vereinsmitglieder die uns versorgen ebenfalls, die Stimmung ist ausgelassen, kein Lüftchen weht, selbst im Schatten der Bäume schmeckt die Luft heiß. Die „Otters“ haben die Inselbildung irgendwann abgeschlossen und begießen ihre Erfolge mit Bier während sie im Wasser stehend die Rennläufe verfolgen. Weitere Inselgruppen der Zurich Penguins, des Frankfurter Volleyballvereins und Queerschlag bilden und vermischen sich.

 

Haben sich die ganzen Strapazen gelohnt? Auf jeden Fall!


 

Quelle: Karsten

 

Im Laufe des Nachmittags wird nicht nur die Luft heiß, sondern auch das nächste anstehende Rennen im Doppelzweier. Wir treten im K.O.-System im Viertelfinale gegen zwei Jungs vom Frankfurter Volleyballverein an. Ich kenne beide nicht, habe im Nebensatz nur gehört, dass sie auf verschiedenen Regatten schon mal erfolgreich waren und im Rennbootrudern bei den Frankfurtern ganz neuen drive reingebracht haben. Auf dem Weg zum Start läuft bei glattem Wasser und dank nassem Shirt alles fluffig. Am Start der Aufruf: -"Grünau" -"Frankfurt" -"Attention!" -"Go!" "Klonk" und los geht's. Wir schieben das Boot an, die Frankfurter sind dabei genauso flink wie wir. Nach zwanzig Schlägen zeigt sich: Die Gegner lassen sich nicht abschütteln, sondern bleiben auf gleicher Höhe, überholen uns sogar noch. Nach der Hälfte der Strecke wird es dann auch nervenaufreibend. Die beiden Frankfurter kommen langsam aber gezielt in unsere Bahn, wir weichen ein bisschen aus und kommen dafür der Bahnbegrenzung gefährlich nahe. Bloß nicht darin verheddern! Wir geben alles, wir treten heftig aufs Stemmbrett, erhöhen die Schlagzahl und kurz vor Ende des Ziels tun mir derartig die Beine weh, dass ich das Gefühl bekomme sie platzen gleich. Genau wie meine Lungen. Mit den letzten Kraftreserven gehen wir durchs Ziel, ganz knapp kann ich beim Zieleinlauf noch aus den Augenwinkeln das Heck der beiden sehen. 2 Sekunden Unterschied waren es, die uns gefehlt haben um weiter im Rennen zu bleiben. Hinter dem Ziel falle ich auf dem Ruderplatz zusammen und bin traurig, dass für uns so schnell die Regatta schon vorbei ist. Und ich bin sauer und frage mich wieso zwei Halbprofis so derart die Bahn verlieren können, dass wir ausweichen müssen. Zurück am Steg beschließen wir: Das wird ein Nachspiel haben. Und haben sich die ganzen Strapazen trotzdem gelohnt? Na klar! Denn endlich hatten wir einen gleich starken Gegner - wir sind nicht mit großem Abstand hinterher oder vorneweg gefahren. Und wir haben dazu gelernt. In so einer Situation weicht man nicht aus. Denn wenn es zur Kollision kommt sind die Schiedsrichter gezwungen eine Entscheidung über den Rennverlauf zu treffen oder man protestiert gleich nach dem Rennen indem man die Hand hebt. An dieser Stelle einen herzlichen Dank nach Frankfurt für das mega geile Rennen.

 

Quelle: Regina

 

Den Rest des Tages verbringen wir im Schatten oder im Wasser, die Rennen ziehen so eisern an uns vorbei wie die Sonne Wien im Griff hat. "Die britischen Inseln" wachsen zu altbekannter weltumspannender Größe, es gibt freundschaftliches "chatting" und zarte Annäherungsversuche. Im Laufe des Freitags ziehen an uns vorbei: Tatjana in Topform im Einer und mit ihrer Zeit ganz vorne dabei; die Konkurrenz in ihrem Rennen ist leider gekentert. Guido ist im Einer vorne mit dabei, der Queerschlagachter quasi konkurrenzlos schnell, der Frauen-Doppelzweier lässt gnadenlos alle anderen Mannschaften hinter sich. Die Leistung vom Athen-Vierer kann sich sehen lassen, der Männer-Doppelzweier im Buntspecht ist auch ganz vorne mit dabei und die Mannschaft in der Rio (liebevoll "Damenvierer" genannt) sieht technisch richtig gut aus. Wer bis jetzt noch nicht gejubelt hat, beklatscht auf jeden Fall die Mannschaften die rudertechnisch noch nicht auf Regattaniveau angekommen aber trotzdem dabei sind. Manche der Mannschaften finden ihre Bahn nicht und führen eher Choreographien auf, andere verhaken sich ganz ordentlich. Und doch gibt es Beifall und Jubel. Hat sich für sie der ganze Aufwand gelohnt? Ich hoffe. Die Anerkennung der Zuschauer:innen ist ihnen jedenfalls sicher. Das gehässige Verhalten aus dem Schulsport wiederholen wir hier nicht. In diesen Momenten habe ich Tränen in den Augen und muss einmal mehr blinzeln, damit man mir die Rührung nicht ansieht. Ich höre auf zu fragen ob es sich gelohnt hat. Das hat es schon längst, ich bin selten so emotional.

Freitag Nacht kann ich nicht einschlafen, weil mich der Tag noch immer beschäftigt und ich eigentlich doch einschlafen soll weil um 5:30 der Wecker klingelt und ich mit Felix und Axel am nächsten Tag um 7:00 Uhr an der Regattastrecke sein will. Die beiden haben um 8:04 ihr Rennen. Es quält mich und es dauert lange bis ich einschlafe. Als der Wecker klingelt bin ich wie gerädert. Ein schnelles Frühstück ohne Allüren, Kaffee aus dem Kühlregal -inzwischen hat der Zimmertemperatur- und trockene Aufbackbrötchen starten mich in den Tag. Dafür haben sich die Strapazen wirklich nicht gelohnt und einen "guten Morgen" kann ich bei Frühstück auf Knien und im Schnelldurchgang meinen Zimmergenossen leider nicht bieten.

Um 7:00 Uhr am Samstag an der Regattastrecke ist das Getümmel noch nicht groß. Felix und Axel nehmen ihr Boot, die Ruderkamerad:innen helfen Gepäck und Skulls zum Steg zu bringen - übrigens eine Selbstverständlichkeit für jede Mannschaft. Der Wetterbericht verspricht für den Samstag 28 °C aber bewölkten Himmel. Was am Freitag die Sonne übernommen hat, leisten jetzt die Teilnehmer:innen und Zuschauer:innen vom Rand der Regattastrecke. Sie heizen den Rennen ordentlich ein, sie klatschen und jubeln und sie fiebern mit ihren Teammitgliedern mit. Die Moderatoren tun ihr Übriges dazu. Die haben nämlich -what an amazing job- gewechselt und begleiten jedes Rennen mit fernsehübertragungsreifen Kommentaren auf deutsch und englisch, so dass die Regatta endgültig Fahrt aufnimmt. Wir sehen Kopf-an-Kopf-Rennen mit minimalem Zeitunterschied. Wegen unterschiedlicher Altersklassen und einem Zeitbonus-System gibt es immer ein paar Sekunden Spannung bis das Moderatoren-Team den:die offizielle:n Gewinner:in in einem Rennen verkünden kann.

Im Laufe des Vormittags läuft es in den Halbfinal- und den sich unmittelbar anschließenden Finalläufen richtig gut für Queerschlag. Silber für Axel und Felix, Gold für den Mixed-Doppelvierer von Tatjana, Regina, Marcus und Karsten, Bronze für Guido, Gold für den Frauen-Doppelzweier von Tatjana und Regina sowie Gold im Frauen-Einer für Tatjana. Felix bringt es am Ende auf den Punkt: "Wer Gold will, rudert bei Queerschlag." Auch den nüchternsten Queerschläger:innen ist ihre Freude anzusehen.

Die Medaillenverleihung am Samstag Nachmittag kann sich sehen lassen. Wirklich alle kommen zusammen. Und wirklich allen wird gedankt: Organisator:innen, Schiedsrichter:innen, Volunteers, dem Wiener Ruderclub Pirat, den Helfer:innen rund um die Strecke und natürlich den Teilnehmer:innen. 

 

 

 Quelle: Regina

 

Erst im Nachhinein habe ich herausbekommen von wem wir da eigentlich die Medaillen überreicht bekommen haben. Es war Andreas Kral, der Präsident des Wiener Ruderverbandes. Für die Medaillenverleihung haben die Organisator:innen die altersklassenunabhängige Wertung des Gesamtrennens aufgehoben und Medaillen für die besten Zeiten in den Masters-Altersklassen vergeben. Die Botschaft kam an: Embrace Diversity und Hauptsache wir waren dabei. Denn wir sind nicht nur zusammengekommen um gegeneinander anzutreten, sondern miteinander. Queere Menschen fechten in ihrem Leben schon viele Kämpfe -vor allem um Anerkennung- aus, so dass allen Teilnehmer:innen allein schon für das Antreten eine Medaille gebührt. Sie kämpfen damit für Sichtbarkeit queerer Athlet:innen, die besondere Situation von trans* und inter* Personen im Sport und zeigen vor allem, dass die Leistungen queerer Personen in nichts nachstehen. Allen, die zur Medaillenverleihung leer ausgegangen sind möchte ich dafür danken, dass sie Teil dieser Regatta waren und so zu einer unvergesslichen Veranstaltung beigetragen haben.

Das alles hat sich sowas von gelohnt!

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